Politik ist mit allem verwoben in Israel, natürlich auch mit dem Gesundheitssystem. Die autoritären staatlichen Strukturen, für die Abwehr der vielen inneren und äußeren Feinde geschaffen, erweisen sich beim Infektionsschutz als großer Vorteil.
2006 wütete ein resistenter Darmkeim in den Krankenhäusern des Landes. Wahrscheinlich wurde das Bakterium – Klebsiella pneumoniae – aus New York eingeschleppt. Kaum ein Antibiotikum wirkt dagegen, auch nicht das Reservemittel Carbapenem. Unaufhaltsam schien sich der Keim auszubreiten, allein im März 2007 steckten sich 185 Menschen an. Insgesamt infizierten sich mehr als 1.000 Menschen, die Hälfte von ihnen starb.
Erst nach Monaten wurde der Ausbruch eingedämmt. Verschwunden ist der Keim nicht, er lauert auf einen neuen Angriff.
Was hat Israel aus der Epidemie gelernt? Was können andere Länder von Israel lernen?
Am Anfang handelte jeder für sich allein, erzählt Mitchell Schwaber, Infektiologe am Sourasky Medical Center in Tel Aviv. Es gab kein Netzwerk. Erst bei einem informellen Treffen von Infektiologen aus verschiedenen Krankenhäusern habe man gemerkt, dass alle das gleiche Problem hatten. Also gründete man eine nationale Taskforce, die Anti-Infektionskommission. Mitchell Schwaber wurde ihr Leiter.
Die Infizierten wurden isoliert, gesondertes Pflegepersonal kümmerte sich um sie. Die Besonderheit: Die Empfehlungen der Taskforce waren verbindlich. "Wir bekamen gesetzliche Autorität", sagt Schwaber. Sein Team konnte Informationen einfordern, Direktiven durchsetzen.
Schwabers Gruppe bekommt bis heute täglich die Daten für resistente Erreger aus jedem Krankenhaus. Zudem gibt es heute ein aktives Screening für Hochrisikopatienten, etwa solche, die sich schon mit einem gefährlichen Keim infiziert haben. In großen, dezentralisierten Ländern wie Deutschland wäre das unvorstellbar.
Noch immer ist umstritten, ob und wann Patienten, die einen resistenten Keim tragen, isoliert werden sollen. Denn das schafft zusätzlichen Aufwand, stigmatisiert die Patienten und deren Pflegekräfte. Schwaber beharrt darauf, dass die von ihm und seinen Kollegen angeordneten Maßnahmen die richtigen waren, zumindest bei diesem Keim. Sein Protokoll wurde mittlerweile international übernommen.
Die Geheimwaffe
Doch die staatliche Autorität ist nicht das einzige Mittel von Schwaber. Er hat noch eine Geheimwaffe. Sie heißt Ester Solter und ist Krankenschwester. Die joviale Frau kommt zum Einsatz, wenn Krankenhäuser Schwabers Anweisungen nicht befolgen.
Wie etwa bei einem beängstigenden Ausbruch eines anderen resistenten Klebsiella-Erregers. Ein Krankenhaus in Ostjerusalem hatte sich 2012 an Schwaber gewandt, weil dort plötzlich Neugeborene an mysteriösen Infektionen erkrankten und starben.
Ostjerusalem ist der arabische Teil der Stadt, seine Zugehörigkeit umstritten. Die enge Kontrolle, die Schwaber über andere Krankenhäuser hat, nutzte ihm hier nichts. Er bat trotzdem um die Unterlagen. Als er sie bekam, war er bestürzt.
"Mein Gott, da war etwas los", sagt der Arzt. Auf dem Höhepunkt des Ausbruchs trug etwa jedes dritte Kind den Keim. Sofort entsandte Schwaber die Krankenschwester Solter, um den Ärzten vor Ort zu helfen. Das größte Problem: die Sprachbarriere. Ester Solter leistete Aufklärungsarbeit: Wie entnimmt man Proben? Wie geht man mit dem Laborequipment um? Es bedurfte eines Ausbruchs auf der Neugeborenenstation, ehe es zu einem Erfahrungsaustausch kam. Auch hier war Schwabers Team schließlich erfolgreich.
Schwabers Empfehlung an andere Länder: Seid vorbereitet. "Habt ein System bereit, bevor der Ernstfall eintritt. Lasst euch nicht überraschen."
Schwaber ist sich bewusst, dass das Land besonders ist: Es ist klein und hat eine strenge, zentralisierte Bürokratie. In einem Land, das an den ständigen Ausnahmezustand gewöhnt ist, sind die Reaktionen schnell und effizient.
Wobei: Die Krankenhäuser sind ständig voll. "Wir haben ständig eine Auslastung von über 100 Prozent", sagt Schwaber. Die Bevölkerung Israels wächst. In den vergangenen Jahren nahm Israel mehr als eine Million Einwanderer auf, hauptsächlich aus der ehemaligen Sowjetunion – ein Bevölkerungswachstum von mehr als zehn Prozent. Doch die Zahl der Krankenhausbetten blieb gleich, klagt Schwaber.
Quelle: zeit.de
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