Österreichs neuer Kanzler Kern: Zum Auftakt wird abgerechnet

  18 Mai 2016    Gelesen: 452
Österreichs neuer Kanzler Kern: Zum Auftakt wird abgerechnet
So forsch ist schon lange kein österreichischer Sozialdemokrat mehr aufgetreten: Vor seiner Vereidigung als Kanzler rechnete Christian Kern mit der Politik in seinem Land ab.
Wer sich einen ersten Eindruck vom künftigen Stil des neuen österreichischen Bundeskanzlers Christian Kern verschaffen wollte, hatte dazu an diesem Dienstag eine gute Gelegenheit. Die neue Hoffnung der Sozialdemokraten trat nach den Sitzungen von SPÖ-Präsidium und Parteivorstand vor die Kameras.

Kern war zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht vom scheidenden Bundespräsidenten Heinz Fischer vereidigt, das hielt den bisherigen Manager der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) aber nicht von klaren Worten ab.

Sein selbstbewusster Auftritt machte deutlich, dass es dem 50-Jährigen nicht nur um kleine Reparaturarbeiten in der SPÖ und der von ihr und der konservativen ÖVP gebildeten Großen Koalition geht.

Kern setzt offenbar vielmehr auf einen Neustart - und darauf, dass die seit Jahrzehnten regierende Große Koalition bei den Bürgern verlorengegangenes Vertrauen zurückgewinnt. Es gehe darum, das "Schauspiel der Machtversessenheit und Zukunftsvergessenheit" zu beenden, mahnte Kern. Wenn SPÖ und ÖVP nicht verstanden hätten, "dass das unsere letzte Chance ist", würden die beiden Volksparteien von der Bildfläche verschwinden, "und wahrscheinlich zu recht".

Kerns Ankündigungen sind eine Reaktion auf die Krise der beiden Volksparteien und der Großen Koalition, die von vielen Bürgern zunehmend kritisch gesehen werden. Nach etlichen Verlusten bei Landtagswahlen hatte sich die Krise für ÖVP und SPÖ zuletzt mit der Pleite bei der Bundespräsidentenwahl verschärft: Ihre Kandidaten waren im ersten Wahlgang kläglich gescheitert. Am kommenden Wochenende entscheiden die Bürger, ob der frühere Grünen-Chef Alexander Van der Bellen oder Norbert Hofer, Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, dem amtierenden Bundespräsidenten Fischer im höchsten Staatsamt folgen wird.

Ein "New Deal" für Österreich

Er wolle dem Koalitionspartner einen "New Deal" vorschlagen, so Kern. Die Ausgangsvoraussetzungen seien mit einer vergleichsweise hohen Arbeitslosigkeit, fehlendem Vertrauen bei den Unternehmern und bescheidenem Wirtschaftswachstum schwierig. Dennoch habe Österreich die Voraussetzungen, "wieder eines der Vorzeigeländer in Europa zu werden".

Kern vermied am Dienstag eine klare Festlegung bei der Frage, ob die SPÖ künftig auch Koalitionen mit der rechtspopulistischen FPÖ eingehen wird. "Wir arbeiten nicht mit Parteien zusammen, die gegen Minderheiten hetzen", sagte er einerseits und betonte, dass Grundsätze wichtiger seien als der "nackte Machterhalt". Andererseits deutete Kern an, dass seine Partei künftig bei der Suche nach möglichen Bündnispartnern auch eine gewisse Flexibilität benötige. Man wolle einen Kriterienkatalog für die Frage nach möglichen Koalitionen entwickeln, die SPÖ werde "da oder dort" auch Kompromisse machen müssen.

Seit einer Weile geht ein Riss durch die SPÖ: Zwar gibt es einen Parteitagsbeschluss, der Bündnisse mit der FPÖ untersagt, im Burgenland schmiedeten die Sozialdemokraten im vergangenen Jahr aber eine Koalition mit der Partei. Zudem mehren sich angesichts der zunehmenden FPÖ-Erfolge in Teilen der SPÖ die Stimmen, sich für die Rechtspopulisten zu öffnen. Werner Faymann, der Anfang Mai als Parteichef und Bundeskanzler zurückgetreten war, hatte eine Zusammenarbeit mit der FPÖ ausgeschlossen.

Keine Wahlempfehlungen der Volksparteien für die Stichwahl

Kern betonte am Dienstag, dass er die ÖVP als Koalitionspartner behalten wolle. Tatsächlich kann ein Platzen des Regierungsbündnisses derzeit kaum im Interesse von Sozial- und Christdemokraten sein: In Umfragen liegt die FPÖ klar vor den beiden Volksparteien. Die Rechtspopulisten hätten somit gute Chancen, den nächsten Kanzler zu stellen. In Wien wird gemutmaßt, dass sich die ÖVP in einem solchen Fall als Koalitionspartner bereit erklären würde - schon einmal schlossen die beiden Parteien eine Regierung auf Bundesebene, angeführt vom damaligen Regierungschef Wolfgang Schüssel (ÖVP).

Für die bevorstehende Bundespräsidenten-Stichwahl am kommenden Sonntag wollen weder SPÖ noch ÖVP eine offizielle Wahlempfehlung ausgeben. Der Bürger sei mündig und wisse genau, für wen er stimmen wolle, heißt es dazu in den Parteizentralen von Sozial- und Christdemokraten. Kern machte am Dienstag allerdings deutlich, dass er selbst für Alexander Van der Bellen votieren werde.

Der Verzicht auf offizielle Wahlempfehlungen durch SPÖ und ÖVP hat wohl weitreichendere Gründe als die Überzeugung vom mündigen Bürger: Die schwere Niederlage für die Kandidaten der beiden Volksparteien im ersten Durchgang der Präsidentenwahl wurde von führenden Christ- und Sozialdemokraten vor allem auch als Votum gegen das politische Establishment gewertet. Eine Wahlempfehlung wäre vor diesem Hintergrund eher kontraproduktiv gewesen - und hätte die wachsenden Vorbehalte der Bürger gegenüber ÖVP und SPÖ möglicherweise nur bestärkt.

Man kann das Schweigen der beiden Parteien aber auch so werten: Sie möchten sich lieber nicht gegen die FPÖ positionieren. Schließlich ist denkbar, dass die FPÖ nach der nächsten Nationalratswahl entscheidet, wer mit ihr am Kabinettstisch sitzen darf.

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