Der IS in Libyen:
Die in New York ansässige Organisation hat Interviews mit fast 50 geflohenen Bewohnern von Sirte geführt – sie alle berichten von Horrorszenen, die sich täglich auf den Straßen des Orts abspielen: von öffentlichen Hinrichtungen, von leblosen Körpern in orangefarbenen Overalls, die wie "Gekreuzigte" an Gerüsten hängen, und maskierten Kämpfern, die "mitten in der Nacht Männer aus ihren Betten holen", so die ehemaligen Einwohner laut Human Rights Watch. Von Informanten begleitete Sittenwächter patrouillierten durch die Straßen und bedrohten, bestraften oder peitschten Männer aus, weil sie rauchten, Musik hörten oder nicht darauf achteten, dass ihre Frauen und Töchter sich verhüllten.
Der Islamische Staat vertreibt die Menschen in Massen
"Das Leben in Sirte ist unerträglich, jeder lebt in Angst. Sie töten unschuldige Menschen. Es gibt nichts zu essen, in den Krankenhäusern fehlt es an Ärzten und Pflegern, auch die Medikamente sind ausgegangen", berichtet eine Frau, die von HRW "Ahlam" genannt wird. Sie und ihre Familie waren für eine medizinische Behandlung nach nach Misrata gegangen.
"Die Ermordung von Zivilisten, verletzten oder gefangenen Kämpfern durch Mitglieder einer bewaffneten Konfliktpartei ist ein Kriegsverbrechen, genauso wie die Hinrichtung von Menschen ohne einen Prozess durch ein reguläres Gericht", erklärte Human Rights Watch. "Die Art und das Ausmaß unrechtmäßiger Hinrichtungen durch den IS und andere Taten in Libyen könnten auch Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein", hieß es weiter. Seit der Ankunft der ersten IS-Kämpfer in Sirte Ende 2014 verließen dem Bericht zufolge mehr als zwei Drittel der früher 80.000 Einwohner die Stadt.
Der IS hatte im August 2015 die Küstenstadt Sirte vollständig eingenommen. Libyen ist nach dem Sturz von Machthaber Muammar al Gaddafi im Chaos versunken, und der Islamische Staat nutzt das Fehlen staatlicher Strukturen, um sich in dem nordafrikanischen Land auszubreiten. Die Zahl der IS-Kämpfer in Libyen wird auf bis zu 5000 geschätzt. Das Herrschaftsgebiet umfasst ungefähr einen 200 Kilometer langen Küstenabschnitt in der Mitte des Landes. "Während die Weltaufmerksamkeit auf die Gräueltaten in Syrien und im Irak gerichtet ist, kommt der IS in Libyen mit Mord davon", sagte die HRW-Terrorismusexpertin Letta Tayler.
Westen: Waffenlieferungen sind Balanceakt
Wegen des Chaos in Libyen gibt es Überlegungen, das Waffenembargo gegen das Land aufzuheben. Vor wenigen Tagen trafen sich in Wien der libysche Ministerpräsident Fajas Seradsch mit Vertretern westlicher Staaten (darunter auch Außenminister Frank-Walter Steinmeier und sein US-Kollege John Kerry) um zu beraten, wie man der wachsenden Bedrohung durch die IS-Miliz Einhalt gebieten könne. Seradsch sagte, sein Land stehe mit dem Kampf gegen den IS vor einer großen Herausforderung. "Wir hoffen auf Unterstützung bei Ausbildung und Ausrüstung unserer Truppen." Kerry sprach von einem heiklen Balanceakt. Man dürfe aber die neue Regierung im Kampf gegen den Terror nicht alleine lassen. Die Regierung Seradsch wurde auf Betreiben der Vereinten Nationen eingesetzt und soll einen Machtkampf zwischen zwei anderen Regierungen beenden. Allerdings ist sie im Land bislang kaum anerkannt.
Quelle : stern.de
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