Wir hatten die Kinder in die österreichische Schule geschickt, weil wir dem ungarischen staatlichen Schulsystem immer weniger vertrauten. Wir beobachteten die zunehmende nationale Nostalgie und wie die Religion immer stärker Einzug hielt, an manchen Schulen wird sogar neuheidnischer Blödsinn wie Runenschrift gelehrt. Da schien uns eine österreichische katholische Schule die viel bessere Lösung zu sein, obwohl wir keine Katholiken sind.
Viele Eltern in der ungarischen Mittelschicht denken ähnlich und entscheiden sich für Privatschulen. Wir wollten jedenfalls eine ruhige Schule – und unseren Kindern notfalls auch eine Perspektive ermöglichen, aus Ungarn zu entkommen. Österreich, vielleicht erst mal fürs Studium, das schien uns eine gute Idee zu sein.
Gábor Miklós ist Kolumnist und Auslandsredakteur bei der unabhängigen ungarischen Tageszeitung Népszabadság. Seine Schwerpunkte sind Mittel- und Osteuropa und der Mittlere Osten. Miklós war früher Korrespondent für die Népszabadság in Polen und den USA.
Seit Ungarn das Land Viktor Orbáns geworden ist, sehen viele ihre Zukunft im Ausland. Die Menschen waren hier nie sehr optimistisch. Aber die Wende von 1989, die politische Rechte und Freiheiten brachte, die Möglichkeit, Unternehmen zu gründen, und die Reisefreiheit – all das hatte viele Hoffnungen geweckt.
In den neunziger Jahren waren wir überzeugt, dass wir bald so leben würden wie die Österreicher. Zu Zeiten des Sozialismus war Österreich für uns so etwas wie ein Idealland gewesen. Dort schienen Wohlstand und soziale Sicherheit zu herrschen, Freiheit und Pluralismus. Über die Innenpolitik dort machten wir uns keine Gedanken. Aber uns beeindruckte, dass Bruno Kreisky, ein antifaschistischer Jude, Kanzler werden konnte. Genauso haben uns das Zwei-Parteien-System und das Proporz-Prinzip imponiert.
Wir wissen nicht genug über Österreich
Was aber wird kommen, wenn Österreich womöglich bald den Nazis – na gut, sagen wir den Halbnazis – gehört?
Wahrscheinlich wissen wir nicht genug über Österreich. Über die von der Gesellschaft gern übernommene historische Lüge zum Beispiel, dass die Österreicher Opfer und nicht Mittäter im Nationalsozialismus waren; man denke nur an die Versuche, die Welt davon zu überzeugen, dass Beethoven Österreicher und Hitler Deutscher war. Davon, dass österreichische Schriftsteller, wenn sie die österreichische Realität erforschten, im Land nie großen Erfolg hatten und dass Jörg Haider mehr Applaus bekam.
Jetzt haben die Österreicher offensichtlich ihre zwei alten Parteien satt und wenden sich deshalb den fremdenfeindlichen Nationalisten zu. Sollte Norbert Hofer bei der Bundespräsidentenwahl am Sonntag siegen, wäre das aber ein größeres Problem als Haiders damalige Regierungskoalition mit der Volkspartei. Es wäre eine Wende, die sich auch auf die Parlamentswahlen auswirken würde.
Strahlende staatlich-nationale Korruption
Am Beispiel Ungarns kann man sehr gut sehen, wie antikommunistische und antiliberale Demagogie einer Kleptokratie zur Macht verholfen hat. Die Korruption von früher hat sich hier in eine in Nationalfarben strahlende staatlich-nationale Korruption verwandelt. Um dieses System aufrecht zu halten, führt die Orbán-Regierung eine permanente nationale Hetzkampagne gegen Europa. Auf riesigen blauen Postern greift Orbán überall im Land "Brüssel" an. Und gleichzeitig werden Orbán und seine Unternehmerfreunde mit dem Geld der EU märchenhaft reich.
Allein daran zu denken, dass im Nachbarland nun ähnliche Dinge passieren könnten, ist schrecklich. Orbán und seine Gefolgschaft rechnen fest mit dieser Möglichkeit; der Propagandaapparat und die Lakaienpresse wollen zu gern ausländische Nachfolger aufzeigen können. Jarosław Kaczyński folgt schon Orbáns Beispiel, die Slowaken haben sich dem ausländerfeindlichen Chor auch schon angeschlossen. Für sie alle wäre eine österreichische Wende ideal. Wir allerdings müssen dann unsere Familienstrategie grundlegend ändern.
Aber wohin wandern die Österreicher aus?
Tags: