Österreich rätselt über die Zukunft

  23 Mai 2016    Gelesen: 390
Österreich rätselt über die Zukunft
Die Patt-Situation in der Stichwahl zum Bundespräsidenten hinterlässt ein ratloses Österreich. Das Land scheint tief gespalten, die Situation angespannt: Die rechte FPÖ wittert sogar Unregelmäßigkeiten bei der Wahl.
Manchmal denkt der Gesetzgeber eben doch an alles: In Paragraf 20, Absatz 3, des österreichischen Bundespräsidentenwahlgesetzes wird festgelegt, was passiert, wenn die Kandidaten in einer Stichwahl genau die gleiche Anzahl der Stimmen erhalten. Ein extrem unwahrscheinlicher Fall, aber so richtig wundern würde man sich nicht mehr über diese verspätete Pointe auf einen spannenden zweiten Wahlsonntag. Noch steht die Prognose bei 50 zu 50 Prozent, noch ist unklar, wer Österreichs erster Mann im Staate wird: der Rechtspopulist Norbert Hofer oder der hauchzart favorisierte Grüne Alexander van der Bellen.

"Arschknapp", titelt die Tageszeitung "Kurier" heute Morgen, sie greift damit ein Zitat von Alexander van der Bellen auf. Das ist die Bestandsaufnahme, aber die Analyse hat schon längst begonnen: Österreich, so sieht es aus, ist ein gespaltenes Land, ein Land auf dem Weg. Nur wohin? So richtig kennt sich niemand mehr aus, wie man hier sagt, es gibt mehr Fragen als Antworten. Die ungewisse Lage zehrt an den Nerven der Beteiligten, die rechte FPÖ raunt vorsorglich schon einmal von Wahlbetrug, gut möglich, dass am Ende der unterlegene Kandidat das Ergebnis anfechten wird.

Strache greift ORF an

Auf der FPÖ-Wahlparty am Abend hatte Parteiboss Heinz-Christian Strache, wie üblich mit "HC"-Schlachtrufen gefeiert, schon den Ton gesetzt: "Ich kenne die offiziellen Zahlen des Innenministeriums, da liegen wir vorn", sagte er. "Beim ORF sieht das ganz anders aus." Geheimwissen aber war das nicht, das Strache da teilte. Auf seiner Internetseite veröffentlichte das Innenministerium die offiziellen Zwischenstände, tatsächlich lag Hofer dort 19.30 Uhr bei 51,9 Prozent - weil die Briefwähler nicht mit eingerechnet wurden. Der öffentlich-rechtliche Sender ORF hatte sich entschieden, in die Zahlen eine Wahlkarten-Prognose einzurechnen, und kam damit auf ein Patt - und dem endgültigen Endergebnis sehr wahrscheinlich näher, als die 51,9 Prozent für Hofer.

Insgesamt gaben 14 Prozent der Wahlberechtigten ihre Stimme nicht im Wahllokal ab, insgesamt 885.437 Menschen beantragten eine Wahlkarte, das war ein Rekord. Sie sollen im Laufe des heutigen Montags ausgezählt werden, zwischen 17 und 19 Uhr soll das das endgültige Endergebnis verkündet werden. Angezweifelt wurde es von der FPÖ schon vorab, Norbert Hofer selbst sprach in seiner Rede am Abend etwas verdruckst davon, dass die Wahlkarten "immer a bissl komisch ausgezählt" werden. Es sind auch diese Verschwörungstheorien, es ist dieses tiefe Misstrauen gegenüber Staat und Medien, die immer mehr Menschen im Land von der Politik und voneinander entfremden.

Spaltpilze überall

Auch wenn Österreich am späten Nachmittag einen Bundespräsidenten hat, wird es weiter nach einem neuen Kurs suchen. "Wer auch immer gewinnt, er muss das Land einigen", sagte Norbert Hofer am Wahlabend. Es wird eine Herkulesaufgabe. Es ist nicht ein einziger Riss, der durch das Land gegangen ist. Die Spaltpilze sprießen an allen Ecken und Enden aus dem Boden. Die großen Städte haben sich mehrheitlich für van der Bellen entschieden. In Wien errang er 61,2 Prozent, in Innsbruck 59,9 Prozent, in Linz 60,5 Prozent, in Salzburg 56,5 Prozent, in Graz 62 Prozent. Abgesehen von Vorarlberg gewann Hofer fast alle ländlichen Wahlbezirke.

Der FPÖ-Kandidat bekam 60 Prozent seiner Stimmen von Männern, van der Bellen konnte sich auf 60 Prozent Wählerinnen stützen. Vor allem bei den unter 29-Jährigen punktete der deutlich ältere Kandidat, Hofers Wähler waren in der Mehrzahl Männer zwischen 30 und 59. Besonders interessant: der Faktor Pessimismus. Wer in den kommenden Jahren eine Verschlechterung seiner Lebensqualität erwartet, wählte zu 69 Prozent Norbert Hofer.

"Durch nichts und niemanden aufzuhalten"

Wer solche Menschen auf der FPÖ-Wahlparty in der Wiener Prater-Alm suchte, wurde schnell fündig. Peter Kremser war mit seiner Frau gekommen, der 56-Jährige ist Schlosser, seine Frau Frisörin, sie haben beide Norbert Hofer gewählt. "Für die, die arbeiten gehen in Österreich, wird halt alles schlechter", sagt Kremser. Den Flüchtlingen aber, denen werde es einfach gemacht, findet er. "Es ist wie in der Familie: Die, die immer da sind, die zählen nix. Aber wer nur einmal im Monat da ist, kriegt alles." Er und seine Frau erhoffen sich von der FPÖ vor allem Erleichterungen für die einfachen Arbeiter. In dieser Schicht holte Norbert Hofer 86 Prozent der Stimmen. Die FPÖ ist die neue Arbeiterpartei Österreichs. Von der SPÖ haben sich viele längst abgewandt, auch Peter Kremser. "Ich arbeite, seit ich 15 bin", sagt er. "Und nun überlegen sie, ob sie eine Pensionsreform machen, wo ich bis 70 arbeiten soll. Da sage ich: Danke, SPÖ, Arbeiterpartei."

Ihr Präsident, der "Präsident der Herzen", wie HC Strache sagte, stand derweil auf der Bühne und dachte schon ein wenig weiter als nur bis Montag. Er erinnerte an 2005, als Jörg Haider die Partei mit seinen Getreuen verlassen hatte, und sich die Reste um Heinz-Christian Strache scharten. Ein Jahr später erreichte die FPÖ schon wieder 11 Prozent bei den Nationalratswahlen und wuchs seitdem zur stärksten Oppositionspartei. Ein Weg, der für Hofer zwangsläufig an die Macht führt. "Wenn uns Österreich das größte Anliegen ist", sagte er, "dann sind wir durch nichts und niemanden aufzuhalten."


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