CDU-Basis lehnt sich gegen Merkel auf

  15 Oktober 2015    Gelesen: 550
CDU-Basis lehnt sich gegen Merkel auf
Viele CDU-Mitglieder hadern mit der Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Bei einem Besuch in Sachsen bereitet die Basis der Kanzlerin einen wütenden Empfang.
Und plötzlich erzählt die Kanzlerin eine kleine Anekdote. Über die Peschmerga. Vor einigen Monaten habe Deutschland die autonomen Kurdenkämpfer mit Milan-Lenkraketen ausgestattet. "Heute ist Milan dort ein beliebter Vorname für Babys, so entzückt sind die über die Wirkung der Waffe." Angela Merkel grinst wie ein Mädchen, das geraden einen nicht jugendfreien Witz erzählt hat. "In diesen ernsten Zeiten ist das doch mal was zum Schmunzeln." Aber die 1000 CDU-Mitglieder, die der Kanzlerin im sächsischen Schkeuditz zuhören, mag der Scherz nicht erwärmen. Bei dem Zukunftskongress der Partei ist die Stimmung angespannt. Viele Mitglieder sind höchst unzufrieden mit der Politik der Bundesregierung - und speziell mit der von Merkel. Das bekommt die Kanzlerin an diesem Tag unmissverständlich zu spüren.

Dabei beginnt der Abend so harmonisch. Als die Kanzlerin den Saal um kurz nach sieben betritt, erheben sich alle und applaudieren. Merkel winkt vergnügt in die Runde. Alles wie immer? Der Eindruck täuscht. Nach der Begrüßung des sächsischen CDU-Generalsekretärs Michael Kretschmer dauert es nicht lang, bis die Kanzlerin von der Realität eingeholt wird. Sie hat nicht einmal zwei Minuten geredet, da erhebt sich ein Mann und hält ein riesiges Plakat hoch. Darauf steht: "Flüchtlingschaos stoppen. Deutsche Werte und Kultur erhalten. Merkel entthronen."

Nicht jeder in der CDU will die Kanzlerin entthronen, aber unbestritten ist: In der CDU werfen ihr nicht wenige einen laschen Kurs in der Flüchtlingspolitik vor. Merkel erlebt die schwierigste Phase ihrer Kanzlerschaft. Seit 2005 ging es für sie immer nur bergauf. Die NSA-Affäre oder den Atomausstieg überstand sie unbeschadet, jetzt steht sie am Pranger wie nie zuvor. Die Umfragewerte der Union sinken. In den letzten Fraktionssitzungen ging es heftig zur Sache. Etwa zwei Drittel der Abgeordneten unterstützt den Kurs der Kanzlerin ganz oder zumindest überwiegend, so heißt es aus Fraktionskreisen, ein Drittel begehrt auf.

"Sie haben alle eingeladen"

In Schkeuditz ist die Anti-Merkel-Fraktion gefühlt sogar noch größer. "Ihren Satz ‚Wir schaffen das‘ können viele Menschen nicht mehr hören", sagt ein Mann aus Dölau. Ein anderer ruft: "Sie haben alle eingeladen, jetzt kommen alle ins Scharaffenland Deutschland. Wir sind voll, machen Sie die Grenze dicht, Frau Kanzlerin." Ein weiterer sagt mit nüchterner Stimme: "Sie wollen ihre Pflichten als Kanzlerin offensichtlich nicht mehr ausfüllen. Sind Sie überhaupt noch bereit Deutschland zu dienen?". Ein CDU-Stadtrat aus Leipzig klagt: "Ich habe das Gefühl, dass ihre Partei nicht mehr meine CDU ist." Die Kritiker erhalten viel Beifall, immer wieder gibt es "Jawoll"- und "Bravo"-Rufe.

Vor mehr als einer Woche suchte die Kanzlerin die Flucht nach vorn. Sie erklärte die Flüchtlingskrise zur Chefsache erklärt und holte sie ins Kanzleramt. In drei Interviews innerhalb von einer Woche stellte sie sich dem Thema, bemühte sich, Optimismus und Zuversicht zu verbreiten. Was bleibt ihr auch anderes übrig? Merkels Dilemma ist: Zeigt sie Schwäche oder rudert nur ein kleines Stück zurück, würde sie den Eindruck vermitteln, dass sie nicht mehr glaubt an jenes "Wir schaffen das". Der Satz hat sie verletzbar gemacht. Egal, wo sie zurzeit auftritt, muss sie sich rechtfertigen - für ihre Selfies mit Flüchtlingen, für das freundliche Gesicht.

Nur wenige springen der Kanzlerin an diesem Abend bei. "Wer denkt, dass sich nach Angela Merkel etwas zum Besseren verändern werde, liegt falsch, danach kommt nämlich nur Rot-Rot-Grün. Sie soll unsere Kanzlerin bleiben", sagt Thüringens Landeschef Mike Mohring. Götz Ulrich, Landrat im Burgenlandkreis, sagt: "Was Sie auf Ihren Schultern stemmen, würde ich nicht machen wollen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie gesund und behütet bleiben." Das Mitleid ist kaum zu überhören. So schlecht steht es schon um die Kanzlerin.

"Die hat so viel Feuer bekommen"

Auch an diesem Abend kommt Merkel nicht umher, sich zu verteidigen. Natürlich nicht ohne diesen einen Satz, den sie wieder sagt, aber leicht ergänzt. "Ich habe gesagt: ‚Wir schaffen das.` Aber ich habe auch gesagt, dass wir es nicht allein schaffen, sondern nur zusammen mit Europa." Viel Applaus erhält Merkel, wenn sie schnellere Abschiebungen oder eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge in Europa fordert, wenn sie Sätze sagt wie: "Besser ist es, wenn Flüchtlinge in ihrer Heimat bleiben, als wenn sie immer weiter weg müssen."

Doch Merkel sagt nicht nur Dinge, die die Basis gerne hören will. Sie versucht sich auch als Motivationstrainerin. "Wenn jemand sagt, dass er kein Essen von einer Frau nimmt, sagen wir: Bei uns ist das anders." Merkel stoppt kurz und schaut in die Runde. "Manch` einer schaut mich ein bisschen zweifelnd an. Das alles hängt von unserem Selbstbewusstsein ab. Ich werde das jedenfalls tun", sagt sie entschlossen. Als die Kanzlerin von der größten politischen Herausforderung seit der Wiedervereinigung spricht, ruft ein älterer Herr verärgert: "Die erzählt immer dasselbe.

Die Veranstaltung in Schkeuditz, an der die Landesverbände Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Brandenburg und Berlin teilnehmen, ist die vorletzte von insgesamt vier Zukunftskongressen. Diese haben für die Parteispitze eigentlich zumindest ein Gutes, geben sie der Basis doch die Gelegenheit, vor dem Parteitag im Dezember noch einmal ordentlich Druck aus dem Kessel zu lassen. Doch zurzeit ist kaum absehbar, dass sich die Flüchtlingskrise so schnell erledigt. Der frühe Wintereinbruch spitzt die Lage eher weiter zu. Viele Zuwanderer übernachten noch immer unter freiem Himmel. Nicht auszudenken, wie emotional es erst zugeht, sollte der erste Flüchtling erfrieren.

Als die Kanzlerin die Mitglieder schließlich in den Abend entlässt, sind die Bedenken vieler längst nicht zerstreut. Vor der Halle stehen drei Frauen auf eine Zigarette zusammen. "Die Merkel hat so viel Feuer bekommen", sagt die erste staunend. Die zweite meint: "Das war doch eine Zukunftsveranstaltung, aber wie geht es denn jetzt weiter? Ich habe mehr Fragen als vorher." Die dritte zieht an ihrer Zigarette, dann sagt sie: "Ich hab` mal gehört, Politik ist die Fähigkeit, in jedem Moment das am wenigsten Schädliche zu tun. Ich glaube, da ist was dran." Da nicken die beiden anderen nur.

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