Syrien: Zusammenstöße zwischen Rebellen-Fraktionen vor Damaskus

  25 Mai 2016    Gelesen: 1133
Syrien: Zusammenstöße zwischen Rebellen-Fraktionen vor Damaskus
Seit rund drei Wochen bekämpfen sich Rebellen in Ost-Ghouta bei Damaskus gegenseitig. Dabei sind nicht weniger als 500 Kämpfer gestorben. Die Assad-Regierung hat diesen Umstandt ausgenutzt und neue Gebiete erobert. Die aufkochenden Spannungen unterhalb der Rebellen in Ost-Ghouta gehen allerdings auf einen seit geraumer Zeit schwellenden Konflikt zurück, der bislang unter der Oberfläche ausgetragen wurde.
Zuerst muss konstatiert werden, dass dieser Konflikt unter den Rebellen zur Zeit wie skizziert werden kann: Jaysh al Islam kämpft gegen Feylaq ur Rahmen (+Ajnad as Sham) und gegen Jaysh Fustat, eine Vereinigung verschiedener Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta. Darunter fallen die einflussreichen Gruppen al Nusra Front, Ahrar al Sham und Fajr al Umma. Die Gründe für die jetzige militärische Auseinandersetzung unter den Rebellen geht weit vor den Tod des weithin als charismatisch geltenden Anführers der Jaish al Islam-Organisation, Zahran Alloush, zurück. Es würde zu kurz greifen, wenn man den Konflikt in Ghouta mit dem Tod des Rebellen-Anführers – wie viele versucht sein mögen – erklären möchte.

Diese Analyse zielt nicht darauf ab, den Schuldigen für die Kämpfe unter den Rebellen in Ost-Ghouta auszumachen, da dies eine Unmöglichkeit in Anbetracht der schwierigen Informationslage in Syrien darstellt. Vielmehr versucht sich der Beitrag auf die Konfliktgründe in seinen Grundzügen zu beschränken. Demnach erhebt dieser Artikel keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Sie soll vielmehr einen Einblick verschaffen. Um das Verständnis für den Leser zu vereinfachen werden die Konfliktgründe in vier Oberkategorien dargestellt:

1- Ideologische Differenzen:

Um die ideologischen Differenzen genauer zu verstehen, gilt es zunächst die einzelnen Brigaden vor Ort, näher zu beleuchten:

Ajnad as Sham

Die Gruppe stellt ein Bündnis aus diversen Syrern dar, die im Kern alle islamisch-konservativ bis islamistisch eingestellt sind. Es finden sich unter den Gründungsmitgliedern aber auch Sufis wieder. Die Rebellen-Organisation ist nicht salafistisch orientiert und ist in der sufistischen Community von Ghouta stark verankert. Nichtsdestotrotz ist das Gros der Mitglieder von Ajnad as Sham nicht sufistisch eingestellt, sondern vereinen sich unter der klassischen islamischen Theologie. In Ost-Ghouta hat sich die Miliz der Organisation von Feylaq ur Rahman angeschlossen. Sie stellen in Ost-Ghouta zwischen 1,500 und 2,000 Kämpfer.

Feylaq ur Rahman

Diese Gruppe ist die zweitgrößte Brigade in Ost-Ghouta und gilt ebenso als lokal in Damaskus und Region verankert. Auch sie sind islamisch-konservativ bis islamistisch eingestellt. Die Kämpfer weisen grundsätzlich eine gewisse ideologische Nähe zur syrischen Muslimbruderschaft aus, gehören ihr aber strukturell nicht an. Sie selbst zählen sich zur Freien Syrischen Armee. Sie vereinigen in Ost-Ghouta bis zu 3,000 Kämpfer unter ihrem Banner.

Jaysh al Islam

Das ist die größte Brigade in Ost-Ghouta. Sie sind islamisch-konservativ bis islamistisch. Ihr hervorstechendes Merkmal ist die wahhabitische Prägung der Führungsebene. Sie unterhalten starke Beziehungen zu Saudi-Arabien und zum saudischen Königshaus. Die Organisation selbst zählt sich zur Freien Syrischen Armee, auch wenn dies von außen meist nicht wahrgenommen wird. Jaysh al Islam hat in Ost-Ghouta bis zu 12,000 Milizionäre.

Ahrar al Sham

Die Organisation ist zwar in Syrien die größte Rebellenbrigade, aber in Ost-Ghouta ist sie verhältnismäßig schwach vertreten.. Ahrar al Sham rekrutiert sich aus nahezu allen Schichten der syrischen Gesellschaft mit klar islamistischem Vorzeichen. Sie bezeichnen sich selbst nicht als Salafisten, haben jedoch in ihren Ideologie-Struktur einen salafistischen Flügel. Es findet sich zudem ein Flügel wieder, der zur Muslimbruderschaft schielt, oder einen anderen Flügel, der sich als Teil des klassischen Mainstream-Islam ansieht. Es gibt weitere kleinere Flügel. Um diese Diversität zu reflektieren, bezeichnet sich Ahrar al Sham selber als eine „Volkspartei“. Sie sehen sich selbst nicht als Teil der Freien Syrischen Armee an. In Ost-Ghouta haben sie 1,000 Mann unter Waffen.

Al Nusra Front

Die Nusra Front ist der syrische Ableger der Al-Kaida und definiert sich im islamistischen Spekturm über eine Abgrenzung von der Terrormiliz „Islamischer Staat“. Sie spielen in Syrien eine gewichtige Rolle, so auch in Ost-Ghouta. In der Region kämpfen nicht mehr als 1,500 Milizionäre für die Nusra Front.

Zu den ideologischen Streitthemen:

Die Abteilung für judikative Angelegenheiten der einflussreichen Miliz Jaysh al Islam unterteilt andere Rebellenformationen – außer die Freie Syrische Armee – in zwei Kategorien: Entweder sind sie Muslimbrüder oder sie haben Beziehungen zur Al-Kaida. Diese Einstellung wird von anderen Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta seit längerem stark kritisiert, weil sie nicht der Diversität der Lage gerecht wird und als Propaganda gegen sie benutzt wird. Des Weiteren erlangten die ideologischen Unterschiede zwischen der Nusra Front und Jaysh al Islam einen Höhepunkt, da Zahran Alloush die Al-Kaida-Führung als Agenten denunzierte und sie als Khawaridsch bezeichnete. Demgegenüber bezeichnet die Nusra Front seit je her die Abteilung für judikative Angelegenheiten von Jaysh al Islam als „Palastgelehrten Saudi-Arabiens“.

Die Konfliktsituation zwischen Jaysh al Islam und der Nusra Front spannte sich weiter an, nachdem die Fatwa vom al-Qaida-Scheich Muhammed al Maqdisi veröffentlicht wurde, in der er Rebellenbrigaden, die Hilfe aus dem Ausland annehmen, scharf anprangerte. Dies feuerte den Konflikt zwischen den Wahhabiten mit Nähe zu Saudi-Arabien und den Al-Kaida-Salafisten in Ost-Ghouta nochmals an. Muhammed al Maqdisi ist für seine Nähe zur Nusra Front bekannt.

Ein weiterer Streitpunkt entsteht durch die propagandistische Benutzung des Wortes „Sufi“ durch Jaysh al Islam gegenüber Ajnad as Sham und Feylaq ur Rahman. Wie bekannt gleicht diese Bezeichnung in der wahhabitischen oder salafistischen Rhetorik einem Schimpfwort. Während Feylaq ur Rahman abstreitet Sufis zu sein, macht sich Ajnad as Sham keinen Hehl aus dieser Thematik, da die öffentliche Wahrnehmung von Ajnad as Sham eine Andere ist. Hierbei ist es dann durchaus interessant, dass die Nusra Front gemeinsam mit Feylaq ur Rahman und Ajnad as Sham gegen Jaysh al Islam kämpft.

Ahrar al Sham hat sich lange Zeit dahingegen versucht, neutral zu verhalten und zwischen den Parteien zu vermitteln. Mittlerweile hat sich Ahrar in dieser Frage gegen Jaysh al Islam gestellt. Die Gruppe lehnt es ab, als Muslimbrüder bezeichnet zu werden.

2- Machtanspruch:

Zuallererst wurde in Ost-Ghouta der IS von Feylaq ur Rahman und Jaysh al Islam vertrieben und besiegt. Bei diesen Kämpfen fiel die Nusra Front, durch ihre Versuche den IS zu schützen, negativ auf. Es kam vor, dass Nusra-Kämpfer Milizionäre des IS vor dem Zugriff der Rebellen versteckten. Dies führte zu ersten Spannungen. In den späteren Monaten formierte Jaysh al Islam die kleineren Brigaden der Freien Syrischen Armee unter seinen Banner. Teils freiwillig, teils unter Gewalt. Jaysh al Islam begründete dieses Vorgehen mit der militärischen Situation in Ost-Ghouta und der Unfähigkeit dieser kleinen FSA-Brigaden. Unter Jaysh al Islam sollte somit eine schlagkräftige Armee entstehen.

Im Weiteren unternahm Jaysh al Islam weitere friedliche Versuche, sich mit Feylaq ur Rahman und Ajnad as Sham zu verbünden. Diese scheiterten. Während die anderen Rebellen Jaysh al Islam vorwerfen, sich als die einzige Macht in Ost-Ghouta zu etablieren, verteidigte sich Jaysh al Islam dahingehend, dass die Uneinigkeit der Rebellen das größte Hindernis im Kampf gegen die Assad-Regierung sei.Die Spannung zwischen Jaysh al Islam und der Nusra Front heizte sich wieder an, als der IS im Yarmouk Camp (West-Ghouta) vorrückte und begann, gegen Jaysh al Islam zu kämpfen. Zu dieser Zeit verbündete sich die Nusra Front mit dem IS im Yarmouk Camp gegen Jaysh al Islam. Dieses Vorgehen der Nusra Front wurde von vielen Experten damit erklärt, dass die Nusra Front in Ghouta sehr schlecht organisiert sei und die dortigen Kämpfer eigensinnig handeln und faktisch gesehen unabhängig von der Nusra Führung seien.

Im weiteren Verlauf sollten Kämpfe zwischen dem IS und Nusra um Yarmouk ausbrechen. Der IS eroberte das gesamte Yarmouk Camp und entriss es der Nusra Front. Dieses Ergebnis wird von Jaysh al Islam als Beispiel für die Unfähigkeit der Nusra Front angeführt.

Der Druck seitens Jaysh al Islam, die alleinige Macht in Ost-Ghouta zu erringen, hat aber auch dazu geführt, dass Ahrar al Sham, die Nusra Front und Fajr Al Umma das Rebellenbündnis Jaysh Fustat gegründet haben, um sich gegen die stärken Verbände von Jaish al Islam zu schützen. Auch Ajnad as Sham und Feylaq ur Rahman haben sich vereint.

3- Verwaltungsstrukturen:

Während Jaysh al Islam einerseits in Ost-Ghouta sehr beliebt ist, herrscht hin und wieder Gegenwind. Ihr wird vorgeworfen, korrupt zu sein und damit die Konsummenten-Preise in Ost-Ghouta in die Höhe zu treiben. Dazu kam es zu Protesten in Ost-Ghouta gegen die Führung von Jaysh al Islam. Bemerkenswert war, dass Jaysh al Islam nicht gewaltsam gegen die Demonstranten wie Assad vorging, sondern sie gewähren lies.

Die Nusra Front indes grub einen Tunnel und beschaffte von außerhalb des durch die Truppen Assads eingeschlossenen Ost-Ghoutas Konsumgüter und Energieressourcen wie Öl. Dieser Schritt sorgte dafür, dass die Nusra Front an Zustimmung in der Region gewann. Diese Handlung der Nusra Front kam zeitlich genau während den Demonstrationen gegen Jaysh al Islam wegen Korruptionsvorwürfen. Das wird weithin als ein strategischer Schachzug gewertet.

Ein weiterer Streitpunkt sind die Gerichte in Ost-Ghouta. Ahrar al Sham unternahm mit Feylaq ur Rahman den Versuch, unabhängige Gerichte zu etablieren. Jaysh al Islam und Ajnad as Sham erklärten sich einverstanden mit dieser Idee. Jedoch forderte Jaysh al Islam laut Aussagen von Ahrar al Sham, dass der Vorsitzende des Komitees für die unabhängigen Richter eine Person sein soll, dessen Nähe zu Jaysh al Islam bekannt ist.

Mittlerweile werden die Gerichte in Ost-Ghouta von Jaysh al Islam dominiert. Diese Dominanz von Jaysh al Islam in dem Bereich sorgt dafür, dass die anderen Rebellenbrigaden es inzwischen ablehnen, Streitigkeiten zwischen den Brigaden vor Gericht zu klären. Weshalb es nunmehr zu militärischen Auseinandersetzungen kommt.

4- Vorwände:

Alle Brigaden die an diesem Konflikt beteiligt sind werfen Gründe für die Eskalation vor. Wegsperrungen, Angriffe, willkürliche Verhaftungen und vieles mehr. Die Vorwürfe widersprechen sich nicht selten gegenseitig und es ist nahezu unmöglich zu kontrollieren, welche davon stimmen und welche nicht. Diese Vorwürfe dienen allen Brigaden lediglich als Vorwand für das eigene Handeln. Die eigentlichen Gründe für die jüngsten Eskalationen sind die oben genannten drei.

Dieser Konflikt unter den Rebellenbrigaden in Ost-Ghouta zeigt noch einmal sehr gut, dass die Rebellen in Syrien, Konfliktlösungsstrukturen schaffen müssen, wenn sie langfristig erfolgreich sein wollen.

Während die Assad-Regierung auf autokratische Mittel zurückgreifen kann und dank den iranischen Revolutionswächtern eine wie auch immer geartete Hierarchie aufzwingen kann, agieren die Rebellen geradezu autonom und in losen Bündnissen. Solange die Rebellen wie Assad Probleme mit Waffengewalt versuchen zu lösen oder es dazu kommt, um Machtkämpfe auszutragen, werden sie langfristig kaum Erfolge erzielen können.

Einer der Gründe der Output-Erfolge der Demokratie beziehungsweise europäischer Staaten ist, dass es Strukturen gibt in denen man Konflikte ohne zerstörerischer Waffengewalt austragen kann. Wenn die Rebellen es nicht schaffen Strukturen aufzubauen, um Konflikte ohne Waffengewalt auszutragen, dann gehen Ressourcen an internen Gefechten verloren. Eine Einführung von plebiszitären Elementen in diesen Strukturen würde zu einer neuen Form von Legitimität führen und könnte eine klare Alternative zur Assad-Regierung darstellen.

Quelle:eurasianews

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