Der Feind greift völlig unerwartet an. Die NATO-Patrouille ist gerade dabei, ein Waldstück zu durchstreifen, als sie aus dem Hinterhalt beschossen wird. Sofort werfen sich die Soldaten auf die Erde, gehen in Deckung. Nach einem endlos scheinenden Feuergefecht gelingt es ihnen schließlich, den in einer Art Graben verborgenen Scharfschützen auszuschalten.
"Der sicherste Weg, bei so etwas nicht erschossen zu werden, ist, sich möglichst schnell zu bewegen, das Feuer aufrecht zu erhalten", sagt der britische Soldat Daniel Walsh, "dann sich im Zickzack vorzuarbeiten und schließlich den Feind von hinten zu stellen."
In 48 Stunden einsatzbereit
Natürlich war all das nur eine Übung. Ein typisches Manöver der "Superschnellen Eingreiftruppe", die gerade unter Beweis zu stellen sucht, dass sie ihrem Namen auch gerecht werden kann und wirklich "superschnell" - nämlich innerhalb von 48 Stunden - vom Heimatland an jeden erdenklichen Krisenort verlegt werden kann. Im Fall des Soldaten Walsh: von Großbritannien aus zur Übung nach Polen. "Das kann schon manchmal hart sein. Man muss bereit sein, seine Familie innerhalb von Minuten zurückzulassen", sagt Walsh.
Für Soldaten der - auch gerne etwas martialisch "Speerspitze" genannten - Eingreiftruppe bedeutet das also, dass sie sozusagen immer auf gepackten Koffern sitzen müssen - bzw. auf gepackten Tarnrucksäcken, um dann nur wenige Stunden später im Kreis von Soldaten aus allen erdenklichen NATO-Ländern in einem mitunter fremden Land perfekt funktionieren zu müssen. "Das ist in der Tat etwas völlig anderes hier in Polen", sagt der Brite Walsh. "Die Umgebung ist neu. Es gibt hier so viel mehr Wald als bei uns. Und sich in dichtem Wald zu bewegen, daran muss man sich gewöhnen.“
Die NATO betont zwar immer wieder, dass sie ihre "superschnelle" Truppe theoretisch überall auf dem Erdball einsetzen kann. Sie macht aber auch kein Geheimnis daraus, dass sie in erster Linie wegen Russland ersonnen wurde: Die "Speerspitze" soll beruhigend wirken auf die osteuropäischen NATO-Länder - und abschreckend auf Moskau.
"Auf den Anfang zurückbesinnen"
"Jetzt, mit den jüngsten russischen Aktivitäten, sind die Menschen ein wenig nervös. Sie fühlen sich bedroht. Vor allem im Osten unseres Bündnisses", sagt der niederländische Generalmajor Hans van Griensven. "Deshalb müssen wir uns darauf zurückbesinnen, womit wir einst angefangen haben: Uns gegen eine existentielle Bedrohung zu verteidigen. In diesem Fall aus dem Osten."
Kritiker werfen der NATO hingegen vor, mit zu viel Säbelrasseln an der russischen Grenze aktiv dazu beizutragen, dass man sich weniger in die Zukunft, sondern geradewegs zurück in die Vergangenheit, in Richtung "Kalter Krieg" bewege. Unbestritten ist, dass die NATO sich nach einer Phase langer Auslandseinsätze im Kosovo oder Afghanistan wieder auf ihre Wurzeln besinnt. Dass sie sich mehr um sich selbst und die eigene Sicherheit kümmert.
Wie bei "Game of Thrones"
Auch wenn das für die laufende "Speerspitzen"-Übung in Polen den Verantwortlichen zufolge nicht bedeutet, dass man hier speziell gegen Russland gerichtete Manöver durchspielt. "Wir denken uns ein künstliches Szenario aus. Mit erfundenen Namen - so ähnlich wie in der US-Fantasy-Serie "Game of Thrones", um nicht politisch vermintes Gelände zu betreten", erklärt Kommandeur Luis Cebrian.
Die NATO leugnet aber auch nicht, dass sie Moskau schon im Ansatz davon abzuhalten versucht, irgendwelche Fantasien - Osteuropa betreffend - zu entwickeln. Dabei soll unter anderem die "Speerspitze" helfen.
Quelle: tagesschau.de
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