„Das hohe Wachstum im ersten Quartal 2016 dürfte die Finanzmarktexperten überrascht haben. Dass sich die Wirtschaftslage in gleicher Geschwindigkeit weiter verbessern wird, ist aus Sicht der Experten jedoch nicht zu erwarten“, sagte ZEW-Präsident Achim Wambach.
Die deutsche Wirtschaft war dank kauffreudiger Verbraucher und steigender Investitionen gut ins Jahr gestartet: Trotz globaler Konjunkturschwäche legte das Bruttoinlandsprodukt von Januar bis März um 0,7 Prozent im Vergleich zu Ende 2015 zu. Für das zweite Quartal erwartet die Bundesbank jedoch eine Konjunkturabkühlung. Die Kaufkraft dürfte angesichts des jüngsten Anstiegs der Rohölpreise künftig nicht mehr so stark zulegen. Zudem sei nicht gesichert, dass die Exporte an die gute Entwicklung im ersten Vierteljahr anknüpfen könnten.
Die Anleger blicken mit Sorge auf die Volksabstimmung in Großbritannien am 23. Juni, die einen Austritt des Landes mit dem wichtigen Finanzstandort London aus der EU bringen könnte. „Unwägbarkeiten wie ein möglicher Brexit lassen einen optimistischeren Ausblick derzeit nicht zu“, sagte ZEW-Chef Wambach zu der Umfrage unter Finanzprofis. In einer aktuellen Telefon-Umfrage des Instituts ORB unter 800 Briten haben die Anhänger eines Verbleibs in der Europäischen Union jedoch einen Vorsprung von 13 Prozentpunkten.
Anders wird die derzeitige Lage bei den deutschen Unternehmen eingeschätzt. Diese rechnen im laufenden Jahr mit mehr als doppelt so vielen neuen Stellen wie noch zu Jahresbeginn. „Die Beschäftigung steigt in diesem Jahr zum elften Mal in Folge – und zwar um 450.000 Stellen“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK), Martin Wansleben, am Dienstag in Berlin. Bislang war nur ein Plus von 220.000 Jobs erwartet worden. Besonders die Bauwirtschaft, aber auch die Einzelhändler und viele Dienstleister wollen mehr Mitarbeiter einstellen, wie die Verbandsumfrage unter 24.000 Unternehmen ergab.
Die Bautätigkeit stieg nicht zuletzt aufgrund der vermehrten Ausgaben für die Unterbringung von Flüchtlingen um 1,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresquartal. Insgesamt wurden im ersten Quartal 84.800 Wohnungen genehmigt – so viel wie zuletzt vor 12 Jahren. Ein spezifischer Blick auf die Wohnungen in Wohnheimen zeigt ein Plus von 146,8 Prozent bei den Baugenehmigungen. „Zu dieser Kategorie zählen unter anderem Flüchtlingsunterkünfte“, so das Statistische Bundesamt.
Der DIHK erhöhte seine Prognose für das Wirtschaftswachstum in diesem Jahr von 1,3 auf 1,5 Prozent. „Bau und Konsum tragen die Konjunktur durchs Jahr“, sagte DIHK-Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben am Dienstag. Sein Verband bleibt aber vorsichtiger als die Bundesregierung: Diese rechnet mit einem Plus von 1,7 Prozent, was dem Ergebnis von 2015 entsprechen würde.
„Im langfristigen Vergleich bleibt die Stimmung aber gut, vor allem dank der Entlastung durch den niedrigen Ölpreis und attraktiver Finanzierungsbedingungen“, hieß es. Gleichzeitig blicken die Firmen optimistischer nach vorn. „Gerade Handel und konsumnahe Dienstleister sind zuversichtlich“, erklärte der DIHK.
Dagegen trübten sich die Exporterwartungen ein. „Derzeit fehlen weltweit die Wachstumstreiber“, erklärte die Kammer. „Die Weltwirtschaft ist durch politische Krisen und Rezessionen in einigen Ländern geprägt.“ Der DIHK senkte seine Exportprognose deshalb von 3,2 auf 2,0 Prozent. Sonderfaktoren wie der vergleichsweise schwache Euro-Kurs und die Entlastung durch den niedrigen Ölpreis stützten hingegen die globale Nachfrage.
Besonders der Außenhandel mit einigen wichtigen Schwellenländern entwickelt sich derzeit schwächer, sagte der Außenhandelsexperte des DIHK zu den Deutschen Wirtschafts Nachrichten. Russland stecke durch den Verfall der Öl- und Gaspreise sowie durch den Vertrauensverlust und die Sanktionen infolge des Konflikts mit der Ukraine in einer tiefen Wirtschaftskrise. „Die deutschen Unternehmen mit Russlandgeschäft warten derzeit ab – sie stellen weniger Mitarbeiter ein und tätigen weniger Investitionen.“
Auch der Handel mit China schwächelt. Die Importe des Landes aus Deutschland waren im letzten Jahr bereits rückläufig. Der angekündigte Umbau zur Hochtechnologie- und Dienstleistungsökonomie komme nur schleppend voran, eine Zunahme protektionistischer Maßnahmen sei zu befürchten. Zusätzliche Risiken sind die ungünstige Demografie und fehlende Reformen, beispielsweise bei Privatisierungen und Marktöffnungen. „Auch China gegenüber zeigen sich die Unternehmen eher abwartend. Unseren Umfragen zufolge erwartet knapp ein Drittel der deutschen Firmen schlechtere Geschäftsbedingungen – nur etwa 17 Prozent gehen dieses Jahr von einer Verbesserung aus. Der größte Teil geht von ähnlichen Bedingungen wie im Vorjahr aus“, sagte der Experte des DIHK.
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