Ein berührendes Experiment in nur vier Minuten

  26 Mai 2016    Gelesen: 436
Ein berührendes Experiment in nur vier Minuten
Ein Flüchtling und ein Europäer sitzen sich gegenüber. Die Sprachbarriere verhindert ein Gespräch, es herrschen Unsicherheit und Stille. Aber nach vier Minuten ist plötzlich alles anders.
Der US-Psychologe Arthur Aron entwickelte vor rund 20 Jahren 36 Fragen, dank deren Beantwortung sich Menschen sympathischer werden und sogar ineinander verlieben sollen. Fragen wie "Haben Sie eine geheime Ahnung, woran Sie sterben werden?" oder "Erzählen Sie Ihrem Gesprächspartner von einem peinlichen Moment in Ihrem Leben".

Nach dem Fragenkatalog folgt der wichtigste Moment: Seinem Gegenüber für vier Minuten in die Augen schauen. Das ist laut Aron der finale Eisbrecher und der Moment, in dem sich zwei Menschen verlieben und tiefe Sympathien füreinander entwickeln.

Diese Technik wandte jetzt Amnesty International an und startete ein Videoexperiment. Das Ziel: Vorurteile zwischen Flüchtlingen und Europäern abbauen und Menschen über die Grenzen schauen lassen. Für diesen Zweck versammelte die Menschenrechtsorganisation in einer Berliner Fabrikhalle rund ein Dutzend Menschen unterschiedlichster Altersklassen. Die Mädchen, Frauen und Männer stammten aus Belgien, Polen, Deutschland, Großbritannien, Somalia und vor allem aus dem Bürgerkriegsland Syrien.

Manchmal reichen wenige Worte

Entstanden ist ein rührender, eindrucksvoller und inspirierender Film. Zwei Mädchen aus Polen und Syrien sitzen sich erst schüchtern gegenüber, am Ende spielen sie kichernd Fangen. Eine Deutsche und ein Syrer beginnen nach wenigen Sekunden zu flirten und tauschen am Ende Nummern für ein Date. Ein 65-jähriger Deutscher macht einem älteren Herrn aus Syrien ein Kompliment für dessen Schnurrbart, danach verständigen sich die Männer per Handzeichen darüber, wie alt sie sind. Eine Deutsche erkundigt sich nach dem Schicksal eines Mannes aus Syrien, und nur wenige Worte in gebrochenem Englisch reichen, um sie in Tränen ausbrechen zu lassen. Am Ende liegen sie sich lange in den Armen.

Besonders bezeichnend an der Versuchsreihe: Alle Menschen treten nach wenigen Minuten, allerspätestens nach dem vierminütigen Blickkontakt, auch in Körperkontakt.

"In der Flüchtlingskrise wird alles entmenschlicht, werden die menschlichen Tragödien zu Nummern und Statistiken", erklärt Amnesty das Video. "Aber das Leiden betrifft echte Menschen, die wie wir Familien haben, die Partner haben, Freunde und ihre eigenen Geschichten, Träume, Ziele ... Nur wenn wir uns mit ihnen zusammensetzen und unserem Gegenüber in die Augen schauen, sehen wir keinen anonymen Flüchtling mehr, keinen Migranten unter vielen, sondern wir erkennen den Menschen, der wie wir liebt, leidet und träumt." Wie das Videoexperiment zeigt, sind manchmal wirklich nicht viele Worte - und schon gar nicht 36 Fragen - notwendig, damit sich zwei fremde Menschen einander annähern.



Quelle : welt.de

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