Tote Wanderin hinterlässt Botschaft

  28 Mai 2016    Gelesen: 436
Tote Wanderin hinterlässt Botschaft
Wenn sich auf dem längsten Wanderweg der Welt, dem Appalachian Trail, ein Wanderer verirrt, geht das meist gut aus. Geraldine Largay hatte dieses Glück nicht. Ihre Notizen zeigen, wie sie langsam verzweifelte.
Geraldine Largay verschwand am 22. Juli 2013, als sie auf dem Appalachian Trail im US-Bundesstaat Maine unterwegs war. Auf dem längsten Fußweg der Welt zu wandern war ein alter Traum, den sich die 66-Jährige unbedingt erfüllen wollte. Mehr als 1600 Kilometer der insgesamt fast 3500 Kilometer hatte sie bereits geschafft.

Im Oktober 2015 wurde ihre Leiche gefunden. Die sterblichen Überreste der Frau lagen in einem zusammengefallenen Zelt in einem Schlafsack. In ihrem letzten Lager entdeckten Helfer außerdem Wanderkarten, eine Regenjacke, Schnur, Ziploc-Beutel, eine Taschenlampe und das regensicher verpackte Notizbuch der Frau.

Darin hatte die pensionierte Krankenschwester aus Tennessee auch festgehalten, wie es ihr ergangen war, nachdem sie sich verirrt hatte. Der Maine Warden Service veröffentlichte diese Aufzeichnungen ebenso wie die Textnachrichten, mit denen sie versucht hatte, Hilfe zu rufen. Weil sie jedoch außerhalb der Reichweite eines Mobilfunkmastes war, wurden die SMS nie abgeschickt.

SMS ins Leere

"Seit gestern verloren", schrieb sie kurz nachdem sie vom Weg abgekommen war, an ihren Mann George und bat ihn, die Polizei zu rufen, damit nach ihr gesucht werden würde. Obwohl ihr Mann diese Nachricht nicht erhielt, meldete er seine Frau am nächsten Tag als vermisst, als sie an einem vereinbarten Treffpunkt nicht eintraf. Drei Monate lang hatte das immer geklappt. Doch trotz einer eingeleiteten Suchaktion wurde Largay zunächst nicht gefunden.

Längere Zeit war Largay mit ihrer Freundin Jane Lee zusammen gelaufen, die dann aber ihre Wanderung aus familiären Gründen abbrechen musste. Lee sagte später, Largay habe einen schlechten Orientierungssinn gehabt, aber darauf bestanden, allein weitergehen zu wollen. Dabei habe sie mehr als einmal die falsche Abzweigung genommen. Möglicherweise unterschätzte Largay die Strapazen und die Herausforderung, die Strecke allein zu bewältigen. Andererseits war sie gesellig und freundete sich schnell mit anderen Wanderern an. So entstand wahrscheinlich auch das letzte Foto von Geraldine Largay. Eine Frau machte es von der strahlenden und gut gelaunten Largay in voller Wanderermontur.

Kurz drauf geriet sie wohl in Schwierigkeiten. Auf dem Trail kann man sich sehr schnell verlaufen, weil man schon nach wenigen Metern wegen der dichten Vegetation den Weg kaum noch erkennen und wiederfinden kann. So könnte es auch Largay ergangen sein. Später stieg sie wohl immer höher, möglicherweise um ein Mobilfunksignal zu bekommen. Nachdem sie immer wieder vergeblich versucht hatte, den Weg wiederzufinden oder auf sich aufmerksam zu machen, richtete sie sich schließlich ein Lager ein. Es lag etwa drei Kilometer vom Trail entfernt.

Letzte Bitte

Bis zum 10. August 2013 schrieb sie täglich Briefe an ihre Familie und berichtete von ihren Beobachtungen. Mithilfe eines selbst erstellten Kalenders versuchte sie offenbar, den Überblick zu behalten, welcher Tag war. So überlebte sie 26 Tage in der Wildnis, bis schließlich ihre Nahrungsmittel und auch sie selbst völlig erschöpft waren. Ihre letzte Nachricht stammte vom 18. August, wobei die Ranger nicht sicher sind, ob das Datum korrekt ist.

Sie lautet: "Wenn sie meinen Körper finden, rufen sie meinen Mann George und meine Tochter Kerry an." Offenbar ahnte sie ihren nahenden Tod und hielt es für möglich, dass ihre Familie Jahre in Ungewissheit über ihr Schicksal erleben könnte. Deshalb betonte sie: "Es wird für sie das größte Glück sein, zu wissen, dass ich tot bin und wo sie mich gefunden haben - egal nach wie vielen Jahren von jetzt an. Bitte schicken sie den Inhalt dieser Tasche an einen von ihnen." Dem medizinischen Bericht zufolge starb Lagray an Entkräftung und Erschöpfung.

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