Mordversuch aus Verärgerung?

  31 Mai 2016    Gelesen: 680
Mordversuch aus Verärgerung?
In Altena zündete ein Feuerwehrmann ein Haus an, in dem sieben Flüchtlinge wohnten. Was trieb ihn an – Angst vor Fremden oder rechte Ideologie? Heute beginnt der Prozess.
Warum zündet jemand ein Haus an, in dem sieben Menschen schlafen – nur aus "persönlicher Verärgerung"? Das hat Dirk D. den Ermittlern der Polizei gesagt. Und auch, dass er Angst gehabt habe vor den Fremden, die in seine Nachbarschaft gezogen seien. Nun muss sich der mutmaßliche Brandstifter von Altena für seine Tat verantworten. An diesem Dienstag beginnt vor dem Landgericht Hagen der Prozess gegen den 25 Jahre alten Feuerwehrmann und Beamten auf Probe sowie gegen einen Komplizen. Den Männern drohen hohe Haftstrafen. Denn es geht um schwere Brandstiftung und um versuchten Mord.

Der Prozess gegen die Brandstifter von Altena ist der achte Fall, der vor Gericht gebracht wurde, seit die Zahl der gewalttätigen Angriffe auf Flüchtlingsunterkünfte im vergangenen Jahr sprunghaft in die Höhe schnellte. Büchen, Plauen, Escheburg, Limburg, Rostock, Salzhemmendorf, Meißen: Sieben Mal wurden Urteile gesprochen. Doch 272 Anschläge auf Asylunterkünfte des vergangenen Jahres bleiben bislang ungeklärt. Ganz zu schweigen von den vielen weiteren Angriffen auf Flüchtlingsheime, die sich seit Jahresbeginn noch ereigneten.

Ein Täter aus der Mitte?

Vermutlich wird es dem Gericht nicht allzu schwer fallen, die Tat von Altena selbst aufzuklären. Vieles ist schon bekannt. Die beiden Männer waren in der Nacht zum 3. Oktober in das Haus eingedrungen, indem sie die Kellertür aufbrachen. Dirk D. hatte auf dem Dachboden Benzin verteilt und es angesteckt, während sein Komplize Marcel M. Schmiere stand. Bevor sie flüchteten, hatten die Männer noch die Telefonleitung des Hauses gekappt, damit niemand den Brand melden konnte. Nur weil sich das Feuer langsam entwickelte und vor sich hin schwelte, konnten sich die syrischen Hausbewohner am nächsten Tag unverletzt in Sicherheit bringen, nachdem der Brandgeruch aufgefallen war. Die Täter wurden schnell gefunden.

Schwieriger wird es für die Richter, das wahre Motiv hinter der Tat zu klären. Denn im Gegensatz zu den Tätern in Salzhemmendorf oder in Meißen konnten die Ermittler Dirk D. keine direkte Verbindung in die rechte Szene nachweisen. Zugleich konnte man aber noch im Dezember auf der Facebook-Seite des Angeklagten Hinweise auf fremdenfeindliches Gedankengut finden.

Im vergangenen Jahr galt der Täter von Altena vielen als Paradebeispiel für einen neuen Tätertyp, den das Bundeskriminalamt hinter vielen Anschlägen auf Flüchtlingsunterkünfte ausgemacht zu haben meinte: Menschen aus der Mitte der Gesellschaft, die zuvor nie etwas verbrochen hatten und nicht mit der rechten Szene verbunden sind. Noch vor wenigen Tagen sprach Innenminister Thomas de Maizière von solchen "unbescholtenen Bürgern", die "plötzlich Gewalt anwenden".

Es mag solche Täter geben. Der Finanzbeamte in Escheburg, der kein Flüchtlingsheim in seinem Wohngebiet dulden wollte und das noch unbezogene Haus anzündete, war wohl ein solcher Täter. Er fühlte sich von der Nachbarschaft getragen, die ebenfalls gegen die Unterkunft protestiert hatte.

Doch Recherchen von ZEIT ONLINE haben gezeigt, dass die These vom neuen Tätertyp so nicht stimmt. Betrachtet man all jene Fälle des vergangenen Jahres, in denen Verdächtige ermittelt werden konnten, zeigt sich: Die Gewalt geht oft von Menschen aus, die schon vorher extrem rechte Ideen pflegten. Viele von ihnen sind keine organisierten Neonazis. Aber sie hängen einer fremdenfeindlichen und extremistischen Ideologie an. Getragen von der aggressiven öffentlichen Debatte radikalisieren sie sich, oft über Facebook-Seiten oder geschlossene WhatsApp-Gruppen. Sie steigern sich in Hass hinein und wenden schließlich Gewalt an. Auf die Gefahr hin, dass Menschen sterben.

Sind Dirk D. und Marcel N. solche Täter? Haben sie sich in kürzester Zeit radikalisiert? Oder meinten sie tatsächlich im vermeintlichen Auftrag einer angeblich schweigenden Mehrheit zu handeln? Und wie wurde dann aus Ärger und Angst brutale Gewalt? Das aufzuklären ist jetzt die Aufgabe des Gerichts.

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