Die Unternehmen sagen auch zu, "klare und wirksame Verfahren" sowie eigene "Überprüfungsteams" für Beschwerden zu Hetze im Internet einzurichten. Das Personal soll regelmäßig zu "aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen" geschult werden. Die Selbstverpflichtung zeigt den wachsenden Druck auf die Tech-Konzerne in Europa.
Die Absichtserklärungen erinnern auf den ersten Blick stark an das, was Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) in seiner Arbeitsgruppe zu Hasskommentaren mit Facebook, Twitter und Google beschlossen hat. Auf den zweiten Blick allerdings gibt es Unterschiede - und deshalb kommt nun Kritik aus dem Berliner Justizministerium.
Sorgen im Justizministerium
Staatssekretär Gerd Billen, der die Task Force zu Hasskommentaren für Maas leitet, nennt den Kodex "einen ersten wichtigen Schritt auf europäischer Ebene". Er sagte SPIEGEL ONLINE allerdings auch, dass die Regeln zu kurz greifen: "Die Maßnahmen, über die wir uns in Deutschland mit den in unserer Task Force vertretenen Unternehmen verständigt haben, gehen aber weiter."
Tatsächlich klingt manche Regelung in der Berliner Abmachung etwas deutlicher: Dort verpflichten sich die Konzerne, alle Nutzermeldungen binnen 24 Stunden zu überprüfen und gegebenenfalls zu entfernen. Im Brüsseler Verhaltenskodex ist nur von "stichhaltigen Anträgen" die Rede. Damit könnte gemeint sein, dass die Regeln nur für solche Meldungen gelten, die von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO) kommen, mit denen die Netzwerke zusammenarbeiten - aber nicht für Meldungen normaler Nutzer.
Im Ministerium ist die Sorge zu spüren, dass sich Facebook in Zukunft eher auf die etwas weicheren Abmachungen mit Brüssel berufen könnte. Staatssekretär Billen formuliert es so: "An den Zusagen in der Task Force müssen sich die Unternehmen auch weiterhin messen lassen."
Die Sorge speist sich daraus, dass die bisherigen Abmachungen eben nicht gut und sichtbar umgesetzt werden. Die Meldeprozesse laufen in der Masse nicht zuverlässig ab, an dieser Nutzererfahrung hat sich auch durch Facebooks Zusagen in Berlin kaum etwas geändert. Wiederholt haben sich Maas und sein Staatssekretär zuletzt beschwert, dass Facebook seinen Ankündigungen Taten folgen lassen müsse.
Die Forderung im Brüsseler Kodex ist dabei womöglich sogar realistischer - denn die Praxis zeigt, dass nur gemeldete Beiträge, die von akzeptierten NGOs kommen, genauer überprüft werden.
Wo bleibt das nationale Recht?
Bleibt die große Frage, woran sich die Netzwerke bei Löschungen orientieren sollen: Während in der Berliner Task Force zumindest die Rede davon ist, dass der Maßstab für das eventuelle Sperren von Beiträgen deutsches Recht ist, fehlt etwas Vergleichbares im Brüsseler Verhaltenskodex.
Diese Kritik kommt nicht nur aus dem Berliner Justizministerium, sondern auch von Aktivisten unterschiedlicher Richtungen. "Der Verhaltenskodex stellt Geschäftsbedingungen der Dienste über das nationale Recht", sagte Estelle Masse, von der digitalen Bürgerrechtsgruppe Access Now. Ihre NGO sollte an der Erarbeitung des Kodexes mitarbeiten, zog sich aus Protest gegen das Ergebnis jetzt aber aus dem "IT-Forum der EU" zurück.
Auch die Aktivisten der Electronic Freedom Foundation (EFF) kritisieren den Umstand, dass der Kodex nicht die unterschiedliche Rechtsprechung in den einzelnen Staaten aufgreift. Die EFF steht Eingriffen in freie Meinungsäußerung prinzipiell kritisch gegenüber. Jene, die im Brüsseler Kodex Zensur wittern, schafften es sogar, in der Nacht zum Mittwoch auf Twitter einen Hashtag unter die beliebtesten Themen zu bringen. Er lautet #IStandWithHateSpeech - ich stehe an der Seite von Hasskommentaren.
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