Männerspielzeug mit Suchtgefahr

  07 Juni 2016    Gelesen: 514
Männerspielzeug mit Suchtgefahr
Der Nissan GT-R ist in jeder Hinsicht jenseits der Vernunft. Nicht nur, dass er seinem Eigentümer monetär einiges abverlangt, er will auch gefordert sein. Aber wehe, wenn Godzilla losgelassen wird - dann droht der Fahrer süchtig zu werden.
Schwarzgraue Regenwolken kriechen über die bewaldeten Hügel der Ardennen und öffnen genau über der berühmten Rennstrecke von Spa ihre nassen Pforten. Aber wen stört das? Von nun an zieht der flache Renner lange Gischtfahnen hinter sich her. Der nach neun Jahren runderneuerte Nissan GT-R, einer der letzten echten Sportwagen, gehört nun mal bei jedem Wetter auf die Piste. Schließlich hat der von einem 3,8 Liter-Sechszylinder mit Doppelturbo befeuerte Japaner Allradantrieb, diverse elektronische Hilfen und eine mitdenkende Doppelkupplungs-Automatik, die es trotz des schmierig-schwierigen Geläufs immer wieder schafft, zumindest einen großen Teil der unbändigen Kraft auf die Straße zu bringen. Insgesamt stehen 570 PS zur Verfügung und damit 20 PS mehr als beim Vorgänger.

In der neuen Zeit der Elektromobilität, der bald selbstfahrenden Autos, des Car-Sharing und der allerorts drohenden Tempolimits und rigiden Umweltzonen fällt es nicht leicht, einem so starken, teuren und schnellen Sportwagen die angemessene Referenz zu erweisen. Natürlich ist der Nissan GT-R ein Relikt des Gestern, als die Welt noch eine andere war. So ein Auto braucht eine Unmenge an fossilem Sprit, beansprucht viel zu oft die linke Spur der Autobahnen und schafft es umgehend in die Schlagzeilen oder auf Facebook-Seiten, wenn ein allzu forscher, aber nicht wirklich begabter Nutzer in der Leitplanke landet.

Mit dem Namen geadelt

Und doch gerät Hiroshi Tamura, der Chefentwickler des Super-Nissan, in recht un-japanische Verzückung, wenn er über seine Schöpfung spricht. Zum Beispiel über die Takumi genannten Handwerksmeister, die den Hochleistungsmotor weitgehend von Hand zusammenbauen und ihr Werk dann mit einer Namens-Plakette adeln. Über das Tüfteln an der Aerodynamik wie an den seitlichen Schwellerlippen, die den Luftstrom unter dem Wagenboden so lenken, dass sich die Stabilität des ganzen Autos erhöht. Der Ingenieur berichtet von der verbesserten Beatmung des Sechszylinders, die einen deutlich größeren Kühlergrill bedingt, der so zum einem optischen Erkennungsmerkmal des neuen GT-R wird.

Aber auch Hiroshi Tamura weiß, dass die künftigen Besitzer sich wohl ebenso selten auf abgesperrte Rennstrecken wagen wie SUV-Eigner abseits fester Straßen. Deshalb ist "sein" GT-R eigentlich zwei Autos: Ein alltagstaugliches Coupé mit einem durchaus komfortablen Fahrwerk und einer Automatik, die recht früh hochschaltet und die bullige Durchzugskraft von immerhin 638 Newtonmetern nur ausreizt, wenn es ans Überholen geht. Dabei sitzen die beiden Passagiere hinter einem mit Nappaleder bespannten Armaturenbrett auf neu geformtem Gestühl, das auch dank seiner fein gesteppten Nähte hochwertig anmutet. "Noch nie in der langen Geschichte unserer GT-R-Modelle konnten sich die Insassen so wohl fühlen", sagt Tamura. Was allerdings nicht für die beiden Rücksitze gilt: Sie sind wirklich nur für sehr jugendliche, noch nicht schulpflichtige Mitreisende geeignet.

Drei Wippen entfesseln "Godzilla"

Sticht den Fahrer der Hafer, lassen sich mit Hilfe von drei kleinen Wippen unterhalb des Acht-Zoll-Monitors die grimmigen Seiten des von seinen Fans ebenso liebevoll wie ehrfürchtig "Godzilla" getauften GT-R erwecken. Ähnlichkeiten mit dem ungestümen Auftritt des schuppigen japanischen Filmmonsters sind durchaus gewollt. Ein beherzter Tritt aufs rechte Pedal sorgt dafür, dass sich die Nadel des zentralen angeordneten Drehzahlmessers der Zahl 7000 nähern kann, ehe der nächste der sechs Gänge an die Reihe kommt. Dabei ist der Sound stets kraftvoll, aber nie penetrant. Dass der Nissan auf exzellente Bremsen ebenso vertrauen kann wie auf eine zupackende, zielgenaue Lenkung versteht sich bei dieser Spezies von Auto von selbst.

Und wieder meldet sich die innere Stimme, die zur Sozialverträglichkeit der Fortbewegung mahnt und das schlechte Gewissen aktiviert, wenn sich die Tachonadel scheinbar mühelos weit jenseits der 250 km/h-Marke tummelt. Natürlich ist der GT-R nicht gegen plötzlich ausscherende LKW immun, natürlich sorgt die rasante Autobahn-Annäherung beim Vordermann im ganz normalen Mittelklassewagen für einen erschrockenen Blick auf die stechenden LED-Augen im Rückspiegel. Aber: Menschen, die 100.000 Euro und mehr für ein an sich unpraktisches Auto mit einem lediglich 315 Liter fassenden Gepäckabteil übrig haben, sollten den Flegeljahren längst entwachsen sein. Sie werden die magischen Schalter wohl nur dann nutzen, wenn sie einer deutlich jüngeren Mitfahrerin die eigene Jugendlichkeit demonstrieren wollen.

Riesenechse muss sich nicht verstecken

Oder sie werden eben doch am Wochenende eine abgesperrte Rennstrecke ansteuern, die mit strengen Regeln, weiten Auslaufzonen und Reifenstapeln an kritischen Ecken für Sicherheit sorgt. Auch hierfür wurde der GT-R geboren, heimste über die Jahre hinweg in speziellen Versionen Pokale und Rundenrekorde ein. Schon längst muss sich Nissan nicht mehr vor den deutlich teureren Porsche oder diversen AMG-Mercedes verstecken. Selbst Nicht-Rennfahrer können unter Anleitung eines mitreisenden Profis die Fliehkraft spüren, die berühmte Eau-Rouge-Kurve von Spa souverän und ziemlich flott durcheilen oder am Ende der langen Gerade vor der legendären Bus-Stopp-Schikane die Bremsen auf die Probe stellen. Und auf dem Monitor kann dann die eigene Leistung bewundert und analysiert werden: Wie schnell war ich in den Kurven, wie war meine Bremsleistung und manches mehr. Der GT-R als Männerspielzeug mit Suchtgefahr.

Wir alle, die sich so ein Geschoss wohl nie werden leisten können oder wollen, dürfen beruhigt sein: Pro Jahr werden in Deutschland kaum mehr als 150 GT-R neu zugelassen. Die Chance, der Riesenechse in freier Wildbahn zu begegnen, ist also recht gering.

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