Das Land, das sich für seine eigene Sprache schämt

  07 Juni 2016    Gelesen: 792
Das Land, das sich für seine eigene Sprache schämt
Singapur ist eine globale Wirtschaftsmacht. Man spricht dort seltsames Englisch. Nun hat es der lokale Dialekt "Singlish" ins Oxford Dictionary geschafft. Einige jubeln – anderen ist es nur peinlich.
"Shiok!" ist jetzt salonfähig. In Singapur und Malaysia kennt diesen fröhlichen Ausdruck für "toll!" jedes Kind. Und ab sofort soll das für die ganze Welt gelten: Neuerdings findet man "shiok" nämlich im renommierten Oxford English Dictionary – der Bibel der englischen Sprache. Zusammen mit 18 anderen Ausdrücken des lokalen Dialekts Singlish wurde "shiok" in die ehrwürdige Liste dieses Wörterbuches aufgenommen und damit zu einem Bestandteil der Weltsprache erhoben.

Danica Salazar, eine beratende Redakteurin des Oxford English Dictionary (OED), erklärte in einem BBC-Interview, die neuen Worte zeigen, dass "die Leute nicht unbedingt Englisch wie die Amerikaner oder die Briten sprechen müssen, damit es korrekt ist". Englisch sei "so eine globale Sprache, und das sollte gefeiert werden!"

Kostbares Kulturgut oder peinliche Deppensprache?

In Singapur selbst hat diese Entscheidung zwei Fronten geschaffen: Die einen halten das Singlish nämlich für ein kostbares Kulturgut, die anderen für eine peinliche Deppensprache, die Singapur auf der globalen Bühne lächerlich macht – und ihre Kinder im internationalen Wettstreit nicht konkurrenzfähig.

"Wah!" (ein Ausruf der reinen Freude und seit neuestem ebenfalls in dem gelobten Buch zu finden), jubeln die einen. Sie begrüßen die Aufwertung ihrer heimatlichen Mundart. Stehe der sanfte Singsang des Singlish, seine verkürzten, teilweise direkt übersetzten Patchwork-Begriffe aus den verschiedenen Zungen der Multikultigesellschaft doch für die tief verwurzelte Tradition des südostasiatischen Tigerstaates.

Singlish ist ein Mix aus den vier Staatssprachen Englisch, Malay, Mandarin und Tamil, gewürzt mit Ausdrücken direkt aus den lokalen Dialekten wie Hokkien, Kantonesisch oder Bengali. Zum Zwecke der Integration mussten die Singapurer seit der Staatsgründung 1965 die vier Hauptsprachen lernen. Im Alltag schliff sich das über die Jahre zu einem spielerischen Mix ab, dem Singlish. Eine Sprache für die kleinen Leute, eine Lingua franca, die tatsächlich die verschiedenen Völker verband und die einfach jeder sprechen konnte, weil im Singlish alles erlaubt ist und zueinander passt.

Dazu kommen ein paar Ausdrücke aus dem Alltag, made in Singapore. "Killer Litter" ist einer davon, der nun ebenfalls seinen festen Platz im OED hat. Es sind herabfallende Objekte, eine lästige, manchmal tödliche Gefahr durch ruchlose Bürger, die einfach ihren Abfall, sogar Getränkekisten und alte Kühlschränke, aus dem Fenster oder vom Balkon ihrer Hochhauswohnungen werfen. Außerdem nahm das Lexikon einige lokale Delikatessen wie "Chilli Crab", "Teh Tarik" (süßer, dickflüssiger Milchtee) und "Char Siu" (geröstetes Schweinefleisch in süßer Sauce) in seine Liste auf.

"Das ist doch kein Englisch!"

Nun aber tobt eine heftige Kulturdebatte. Der in Asien sehr bekannte Filmemacher Jack Neo zum Beispiel freut sich: "Ich bin immer enttäuscht, wenn Singlish als unangemessen und ungeschliffen verurteilt wird. Jetzt haben die internationalen Experten es endlich als anständig erkannt." Auch die Satirikerin Sylvia Toh meint: "Man muss sich doch freuen und Stolz empfinden, denn so wird anerkannt, dass Singlish ein wichtiger Teil unserer nationalen Identität ist. Ironischerweise ist es ausgerechnet eine frühere Kolonialmacht, die das würdigt, während unsere eigene Regierung dagegen ankämpft."

Die Behörden in dem sauberen Stadtstaat ziehen nämlich seit Jahren eine sogenannte "Sprich gutes Englisch"-Kampagne durch, um das Singlish aus der Hochsprache auszumerzen. Sie fürchteten, es könne unzivilisiert wirken und Ausländer abschrecken – und das wäre schließlich schlecht fürs Geschäft. Staatsgründer Lee Kwan Yew nannte die Mundart 1999 gar "ein Handicap, das wir den Singapurern nicht wünschen dürfen".

Nun stoßen viele in öffentlichen Diskussionen in das gleiche Horn. Der bekannte DJ Glenn Ong schimpfte im Radio, die Entscheidung des OED-Teams sei ihm rätselhaft. "Das OED setzt die Standards für das Englische, und ich bin überrascht, dass Singlishworte einbezogen werden. Ich habe das Gefühl, dass Singlish manchmal einfach eine Entschuldigung für mieses Englisch ist."

In Zeitungskommentaren fürchten manche um die Zukunft ihrer Kinder und deren gelobte Bildung. "Wir verbauen der nächsten Generation ihren Eintritt auf den globalen Markt, wenn wir unseren lächerlichen Dialekt propagieren!", warnt eine empörte Mutter, "Das ist doch kein Englisch!"

Rapper Shigga Shay, der seine Songtexte oft und gern mit Singlish garniert, sieht das ganz locker. "Ich glaube nicht, dass Singlish den Tod von anständigem Englisch bedeutet. Man vergisst ja nicht plötzlich sein gutes Sprachgefühl, bloß weil neue Begriffe hinzugefügt werden."

Quelle : welt.de

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