Eltern der Attentäter belasten die türkische Polizei

  16 Oktober 2015    Gelesen: 667
Eltern der Attentäter belasten die türkische Polizei
In der Woche nach dem verheerenden Selbstmordattentat in Ankara kommen immer mehr Details ans Tageslicht. Die Eltern der Attentäter erheben schwere Vorwürfe gegen die Polizei, HDP-Cef Demirtaş kritisiert Premier Davutoğlu derweil auf ironische Art.
Der für seinen Humor bekannte HDP-Co-Vorsitzende Selahattin Demirtaş hat sich zu den Äußerungen Premierminister Davutoğlus bezüglich der Versäumnisse der Sicherheitskräfte vor dem Anschlag in Ankara geäußert. Davutoğlu hatte Spott und Kritik geerntet, als er in einem Interview sagte, die Sicherheitsbehörden hätten eine Liste potentieller Selbstmordattentäter in der Hand, könnten aber nichts gegen sie tun, bevor diese zur Tat schreiten, da die Türkei ein demokratischer Rechtsstaat sei.

Demirtaş nahm dazu am Donnerstag auf gewohnt ironische Weise Stellung: „Heute ist in der Türkei derjenige am sichersten vor der Justiz, der eine lebende Bombe, ein Selbstmordattentäter ist. Es ist eine Garantie dafür, nicht festgenommen zu werden. Wenn sie sagen, ich bin eine lebende Bombe - und ich sage das mit den Worten des Ministerpräsidenten - befinden sie sich in Sicherheit vor dem Zugriff der Justiz. Der Staat tut ihnen nichts, bevor sie sich in die Luft sprengen. Alle anderen haben in der Türkei ein Sicherheitsproblem.“

Wäre es nicht vor dem Hintergrund des Attentats von Ankara, wären Demirtaş` Worte Anlass zum Schmunzeln. Sie bringen die lasche Haltung der türkischen Justiz gegenüber der IS-Gefahr allerdings auf den Punkt. Das gilt umso mehr, als die Attentäter von Ankara identifiziert wurden und sie vor ihrer Tat von ihren eigenen Eltern bei der Polizei angezeigt worden waren.

Eltern der Attentäter suchten Hilfe bei der Polizei - vergeblich
Als einer der Selbstmordattentäter von Ankara wurde Ömer Deniz Dündar identifiziert. Seine Eltern erheben nun schwere Vorwürfe gegen die Polizei. M. Dündar, der Vater des Attentäters, sagte gegenüber der Zeitung Radikal: „Ich bin viele Male zur Polizei gegangen, um meinen Sohn aus Syrien zurückzuholen. Er kam 2014 nach Adıyaman in die Türkei, blieb acht Monate bei uns. Ich habe der Polizei gesagt, ’Nehmt ihn fest, werft ihn ins Gefängnis.’ Nachdem er jedoch vernommen wurde, wurde er wieder freigelassen. Nach acht Monaten ging er wieder nach Syrien.“ Er war verheiratet und hatte ein Kind.

Ähnliches berichten die Eltern von Orhan Gönder, der bei der Wahlkundgebung der HDP in Diyarbakır am 5. Juni diesen Jahres eine Bombe zündete und vier Menschen tötete. Auch seine Eltern hatten sich vor der Tat an die Polizei gewandt und um Hilfe gebeten, als sie merkten, dass ihr Sohn sich eigenartig verhält. Die Mutter Hatice Gönder erzählt: „Die Polizei vernahm ihn und ließ ihn dann frei. Er verließ später sein Zuhause und ging nach Syrien. Wir haben überall im Grenzgebiet gesucht, ihn aber nicht finden können. Später haben wir erfahren, dass er die Bombe in Diyarbakir hochgehen ließ.“

Schäzungsweise 10.000 Dschihadisten in der Türkei
Es ist auffällig, dass alle Attentäter aus der Stadt Adıyaman stammten. Sie sollen dort in der Teestube der Alagöz-Brüder İslam Çay Evi radikalisiert worden sein. Die Teestube ist mittlerweile geschlossen worden. Auch für die Explosion in Suruç am 20. Juli mit 34 Toten ist ein Attentäter aus Adıyaman verantwortlich - der Bruder des Attentäters von Ankara, Abdurrahman Alagöz.

Es stellte sich auch heraus, dass obwohl die Polizei nach dem Anschlag von Suruç am 12. August tätig wurde, nichts passierte. Nach den Al-Qaida-Anschlägen 2003 in Istanbul hatte die türkische Polizei 1800 Dschihadisten im Visier. Die Beobachtung dieser Personen wurde jedoch aufgegeben, als der IS 2013 in Syrien und dem Irak seinen Aufstieg begann. Mittlerweile wird die Zahl der Dschihadisten in der Türkei auf um die 10.000 geschätzt.

Andererseits sollen über 6000 Kämpfer des IS in Syrien und dem Irak aus der Türkei stammen. Die Zahl der gesamten IS-Kämpfer wird auf 30.000 bis 40.000 geschätzt. Besonders im Grenzgebiet hätten IS-Kommandanten türkische Militante als Helfer. Die Familien, deren Söhne beim IS sind, würden sie nicht der Polizei melden, um sie rechtlich nicht zu belasten. Türkischen Medien zufolge unterhält der IS mit der Türkei wirtschaftliche Beziehungen und verkauft unter anderem Öl an türkische Abnehmer. Türkische Behörden würden den Kampf gegen den IS nur äußerst lasch führen, so die Einschätzung.

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