Gastmann: Ich habe 30 Dollar in einen Briefumschlag gesteckt und an den Landesvater geschickt. Schon durfte ich mich Kaiser nennen. Der Künstler Lars Vilks hat Ladonien ausgerufen, um eines seiner Werke, eine gigantische Bretterburg, vor dem Abriss zu retten. Es ist ein winziger Flecken an der schwedischen Küste am Kattegat. Niemand lebt dort, denn alle Ladonier sind Nomaden. Und trotzdem haben wir eine sehr aktive Gemeinschaft. Es gibt eine Königin, eine Kronprinzessin und einen Haufen umtriebiger Ministerien, zum Beispiel für Käse und Schach.
SPIEGEL ONLINE: Sie haben einen "Atlas der unentdeckten Länder" geschrieben. Gibt es überhaupt noch weiße Flecken auf der Weltkarte?
Gastmann: Sicher, treffender wäre wohl "Atlas der ziemlich unentdeckten Länder" gewesen - aber das war zu lang für das Cover. Der Buchtitel ist mit einem Augenzwinkern gemeint. Um wirklich unbekanntes Gebiet zu betreten, hätte ich im Amazonasbecken verschwinden oder auf den unbestiegenen heiligen Berg Kailash in Tibet klettern müssen. Stattdessen habe ich Orte gesucht, die fast vergessen sind, von anderen Staaten nicht anerkannt werden oder schwer erreichbar sind, wie die Insel Pitcairn in der Südsee.
SPIEGEL ONLINE: Inwiefern schwer erreichbar?
Gastmann: Nur alle drei Monate schippert ein verrosteter Frachter nach Pitcairn, und der ist auf Jahre ausgebucht. Man bot mir dennoch eine Koje an - für den absurden Preis von 5000 Neuseeland-Dollar. Ich wollte unbedingt dorthin, weil ich gelesen hatte, dass auf der Insel die Nachfahren der Meuterer von der "Bounty" leben. Wer sich entscheide, für immer dort zu bleiben, hieß es, dem bauen die Pitcairner ein Haus.
SPIEGEL ONLINE: Ist die Geschichte denn wahr?
Gastmann: Absolut. Als wir anlegten, standen die 40 Bewohner am Ufer und freuten sich wahnsinnig, fremde Gesichter zu sehen. Ich wohnte bei der Ur-Ur-Ur-Ur-Enkelin von William McCoy. Er war Matrose auf der "Bounty" und gilt als einer der berüchtigtsten Meuterer. Am nächsten Morgen weckte mich ein einmaliges Geräusch. Ein Wal hatte unter meinem Fenster geblasen.
SPIEGEL ONLINE: Warum sind Sie nicht gleich dort geblieben?
Gastmann: Die Insel ist winzig, und mit jedem Tag wird sie kleiner. Um 18 Uhr laufen die Stromgeneratoren aus, dann kommen die Schauergeschichten ans Kerzenlicht. Es gibt ein finsteres Kapitel in der jüngsten Vergangenheit. Die Bewohner haben jahrelang Frauen und Kinder missbraucht, sieben Männer standen vor Gericht. Die Stimmung war vergiftet. Ich war froh, dass der Frachter nach vier Tagen wieder ablegte. Das ist der Fluch meiner Geschichten: Nach der Lektüre möchte keiner mehr dort hinfahren.
SPIEGEL ONLINE: Wie meinen Sie das?
Gastmann: Es reicht mir nicht, über Traumstrände zu schreiben. Ich möchte auch auf Missstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam machen. Deshalb bin ich beispielweise in die autonome Republik Karakalpakistan gereist. Sie liegt am Aralsee oder besser gesagt: Sie lag dort. Inzwischen ist der See so gut wie ausgetrocknet, und in den Städten herrschen neue Wetterlagen: Salz und Staub.
SPIEGEL ONLINE: Noch ein Beispiel?
Gastmann: Transnistrien am Ostrand Moldawiens. Vor Ort wurde ich gefragt: "Was willst du hier? Fahr lieber nach Spanien." Seit dem Bürgerkrieg 1992 ist die Zeit hier stehen geblieben: Lenin grüßt an jeder Ecke, und der Geheimdienst heißt noch immer KGB.
SPIEGEL ONLINE: Hatten Sie irgendwann einmal Angst?
Gastmann: Ja, als ich auf einem wackligen Boot stand und in ein Wasser voller Haie springen sollte. Ich war nach Palau gereist, um einen Inselstaat im Pazifik kennenzulernen, der für seine riesige Haischutzzone bekannt ist. Schließlich ist nichts auf Erden unerforschter als die Meere, dachte ich. Unter Wasser, an einer Riffkante, tauchte dann tatsächlich ein Rudel Haie auf. Sie bemerkten mich zwar, beachteten mich aber nicht weiter. Und so schlug meine Angst in Bewunderung um.
SPIEGEL ONLINE: Was ist das Fazit Ihrer Recherche?
Gastmann: Du kannst in die entlegensten Winkel dieser Erde reisen und triffst immer einen Touristen. Zum Beispiel Zoran, ein Millionär und Ländersammler, der sich vorgenommen hatte, der größte Traveller aller Zeiten zu werden. 260 Länder und Regionen wollte er bereits bereist haben - und angeblich fehlten ihm nur noch Nordossetien, Südossetien und Tokelau im Südpazifik.
SPIEGEL ONLINE: Haben Sie einen Tipp, wie ich als Urlauber ein echtes Abenteuer erleben kann?
Gastmann: Ein Abenteuer kann in der Kneipe beginnen, in die man sich nie reingetraut hat. Ziehen Sie mit den Augen eines Kindskopfes los, seien Sie neugierig, lassen Sie dem Zufall Zeit. Wer allein unterwegs ist, hat es leichter. Irgendwann hat man gar keine andere Wahl, als sich mit Fremden zu unterhalten.
Quelle : spiegel.de
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