Die Befreier kommen in Badelatschen, Jeans und kurzen Hosen, mit Patronengürtel um den Oberkörper. Sie sitzen auf Pick-up-Trucks, an deren Ladeflächen Maschinengewehre geschraubt sind. Sie, das sind Milizionäre aus der libyschen Stadt Misurata. Kilometer für Kilometer rücken sie auf Sirt vor, die Vororte der Küstenstadt haben sie schon erreicht und dringen nun in die Hochburg des "Islamischen Staat" (IS) ein. Sirt ist der wichtigste Stützpunkt der Terrormiliz außerhalb Syriens und des Irak.
Im November 2014 waren die ersten IS-Anhänger in die Stadt eingerückt, drei Monate später übernahmen sie die Kontrolle und errichteten ein Terrorregime. Die Dschihadisten töteten ihre Gegner in der Geburtsstadt des gestürzten libyschen Diktators Muammar al-Gaddafi auf offener Straße.
Im vergangenen August schlugen die IS-Milizionäre einen Aufstand in Sirt nieder und festigten in der Folge ihre Herrschaft. Doch nun droht der Gruppe ihre empfindlichste Niederlage in Libyen.
Der Vormarsch auf Sirt ist der bislang größte militärische Erfolg der von der Uno unterstützten libyschen Einheitsregierung, die Anfang April in Tripolis ihre Arbeit aufnahm.
Funktionstüchtige Armeeeinheiten, die der international anerkannten Führung unterstehen, gibt es derzeit aber nur im Osten des Landes rund um die Metropole Bengasi. Deshalb stützt sich die militärische Macht der Regierung im Westen auf die Milizen aus Misurata. Sie hatten bereits vor fünf Jahren eine wichtige Rolle im bewaffneten Aufstand gegen Machthaber Gaddafi gespielt.
Wachmannschaften der Erdölanlagen bieten dem IS die Stirn
Vor zwei Wochen hatte sich die Übergangsregierung die Unterstützung der Wachmannschaften der Erdölanlagen (PFG) gesichert. Sie gehören zu den wenigen staatlichen Institutionen, die nach dem Sturz des Gaddafi-Regimes halbwegs intakt geblieben sind. Aufgabe der Truppe ist der Schutz der Erdölförderstätten und Raffinerien, der wichtigsten Einnahmequellen Libyens.
Der Kommandeur der PFG, Ibrahim al-Jadran, hielt seine Kämpfer lange aus dem Machtkampf im Land heraus. Er verurteilte den IS, gleichzeitig soll einer seiner Brüder hochrangiges Mitglied der Terrormiliz sein. Lange weigerte sich Jadran, die Übergangsregierung zu unterstützen, seit Ende Mai koordinieren die PFG aber ihr Vorgehen mit den Milizen aus Misurata in einem gemeinsamen Kommandoraum.
In den vergangenen Wochen haben die PFG den IS aus mehreren Orten östlich von Sirt vertrieben. Erst eroberten sie die Küstenstadt Ben Dschawad, dann die im Landesinneren gelegene Ortschaft Nufailija. Der Brückenkopf, den der IS in den vergangenen Jahren an Libyens Mittelmeerküste errichtet hat, wird damit immer kleiner. Von Westen rücken die Milizen aus Misurata vor, im Osten nähern sich die PFG.
Doch der IS wird Sirt nicht kampflos räumen. Die Dschihadisten leisten erbitterten Widerstand, Tausende Kämpfer sollen noch in der Stadt sein. Nach Angaben der Regierung sind auf Seiten ihrer Milizionäre bereits 150 Kämpfer getötet worden. Und bisher spielen sich die Gefechte am Stadtrand ab, gut fünf Kilometer vom Zentrum entfernt.
Die schwierigste Aufgabe wartet ohnehin erst nach einer möglichen Rückeroberung Sirts. Dann nämlich muss die Regierung jene Milizen belohnen, die jetzt den IS zurückdrängen. Wie schwer das wird, hatte sich vor knapp fünf Jahren nach dem Sturz Gaddafis gezeigt. Damals zerbrach die Rebellenkoalition binnen weniger Monate im Streit um die Verteilung von Macht und Öleinnahmen. Die Folge: Radikale Islamisten gewannen an Zulauf und nutzten das Chaos aus. Dies bildete die Grundlage für den Aufstieg des IS in Libyen.
Quelle: spiegel.de
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