Ablehnung der Deutschen gegen Schwule und Muslime wächst

  16 Juni 2016    Gelesen: 393
Ablehnung der Deutschen gegen Schwule und Muslime wächst
Einer Studie zufolge nimmt die Feindseligkeit der Bevölkerung gegen bestimmte Gruppen zu. Zwei Fünftel seien für ein generelles Zuwanderungsverbot für Muslime. Doch auch die Erhebung ist umstritten.
Es sei "ekelhaft", wenn Homosexuelle "sich in der Öffentlichkeit küssen". Das meinen 40 Prozent der Befragten. Aber diese Befragten sind nicht fundamentalistische Muslime. Es sind Deutsche. Es sind 2420 repräsentativ ausgewählte Staatsbürger der Bundesrepublik. Von denen bekunden zwei Fünftel regelrecht Abscheu gegenüber unverhohlener Gleichgeschlechtlichkeit. 2014 waren es nur 20 Prozent.

Dass es jetzt viel mehr sind, kann nach dem Terroranschlag im Schwulen- und Lesben-Klub von Orlando als erschreckend gelten. Doch kann das Ergebnis der im Frühjahr 2016 durchgeführten Befragung auch zu einer ironischen Frage provozieren: Wenn 40 Prozent der Deutschen über Homosexualität so denken, wie es angeblich nur Muslime tun – warum sind dann so viele Deutsche gegen eine Zuwanderung von Muslimen?

Das ist nämlich der Fall: 41 Prozent der Befragten stimmen "eher" oder "voll und ganz" dem Satz zu: "Muslimen sollte die Zuwanderung nach Deutschland untersagt werden." 2014 waren 36 Prozent für ein generelles Migrationsverbot für Menschen islamischen Glaubens gewesen. Heute meint sogar die Hälfte der Bevölkerung: "Durch die vielen Muslime hier fühle ich mich manchmal wie ein Fremder im eigenen Land." Fremd? Lassen sich nicht beim Widerwillen gegen Gleichgeschlechtlichkeit einige Gemeinsamkeiten finden?

Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit nennen Soziologen das Phänomen, um das es hier geht: Ganze Gruppen von Menschen werden abgelehnt, pauschal. Und dabei spielt keine Rolle, ob sich die Aversion gegen die eine Gruppe überhaupt mit der Aversion gegen die andere verträgt.

Das Phänomen breitet sich in Deutschland aus. Zu diesem Ergebnis jedenfalls kommt die am Mittwoch vorgestellte, aktuelle Folge der Studie "Die enthemmte Mitte" über das Ausmaß einer "autoritären und rechtsextremen Einstellung in Deutschland". Durchgeführt wurde die Studie von der Universität Leipzig in Zusammenarbeit mit der Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall sowie zwei parteinahen Stiftungen: der Heinrich-Böll-Stiftung (Grüne) und der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Linke).

Eine Zunahme gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit registriert die Untersuchung auch bei Asylsuchenden. 60 Prozent meinen: "Die meisten Asylsuchenden befürchten nicht wirklich, in ihrem Heimatland verfolgt zu werden." Diese Unterstellung, dass es Flüchtlinge gar nicht um Schutz vor realer Verfolgung gehe, äußerten zwei Jahre zuvor 55 Prozent.

Doch während man bei solchen Pauschalurteilen und offenen Ablehnungen tatsächlich von gruppenbezogener Aversion sprechen kann, lässt sich bei anderen Ergebnissen der Studie fragen, ob es sich da wirklich um Menschenfeindlichkeit handelt. So rubrizieren es die Autoren unter "Abwertung von Asylbewerbern", wenn gut 80 Prozent der Befragten meinen: Der Staat sollte bei der Prüfung von Asylanträgen "nicht großzügig sein".

Und beim Thema Homosexualität gilt als "Abwertung" nicht nur, wenn Ekel bekundet wird oder ein Viertel der Befragten die Gleichgeschlechtlichkeit per se für "unmoralisch" erklärt. Vielmehr soll "Abwertung" auch dann vorliegen, wenn sich 36 Prozent gegen gleichgeschlechtliche Ehen aussprechen. Dies als "Abwertung" zu klassifizieren, kann selbst schon eine Abwertung einer Meinung sein.

Friedrich-Ebert-Stiftung stieg aus

Tatsächlich ist die schon seit 2002 laufende Studie zum Extremismus der "Mitte" durchaus umstritten. So macht die SPD-nahe Friedrich-Ebert-Stiftung bei der aktuellen Folge nicht mehr mit. Und im theoretischen Grundlagenteil lässt sich einiges finden, was fragwürdig zu nennen ist. Etwa die große Rolle, die alte Konzepte zum "autoritären Charakter" dort noch spielen, oder die These, dass eine gefährliche "Autorität" heute vor allem die "Autorität des Marktes" sei.

Dennoch folgt aus dieser Linkslastigkeit der Studie mitnichten, dass alles ausgeblendet würde, was nicht in linke Denkmuster passt. Im Gegenteil: Die Autoren präsentieren zahlreiche Befunde, die solchen Mustern widersprechen. Etwa das Ergebnis, dass der Glaube an rechte Verschwörungstheorien in Deutschland zurückgeht. 2012 stimmten noch mehr als 37 Prozent Sätzen zu, dass "geheime Organisationen großen Einfluss auf politische Entscheidungen haben" oder dass "Politiker nur Marionetten der dahinterstehenden Mächte" seien.

Jetzt aber hängen solchen Meinungen nur noch ein Drittel der Befragten an, besonders stark ist der Rückgang der Verschwörungsmentalität in Ostdeutschland. 2014 ließ sich der Glaube an geheime Mächte dort bei 49 Prozent finden; jetzt sind es nur noch gut 38 Prozent. Und dass laut Studie in Gesamtdeutschland nur 14 Prozent den Begriff "Lügenpresse" bejahen (Ostdeutschland: 18 Prozent), belegt ebenfalls, dass diese Untersuchung keineswegs von linkem Alarmismus geprägt ist.

Genauso ist es bei der Kernaussage, dass es in Deutschland "keine Zunahme rechtsextremer Einstellungen" gibt, wie die Autoren schreiben. Sie haben sechs Einzelbereiche solcher Einstellungen definiert und finden dort zum Teil sogar Rückgänge. Die ohnehin niedrige Zustimmung zu antisemitischen Aussagen sank im Mittelwert leicht auf 4,8 Prozent. Eine Verharmlosung des Nationalsozialismus findet die Studie nur bei 2,1 Prozent.

Leicht gestiegen hingegen ist die Sympathie für eine rechtsautoritäre Diktatur, der jetzt wie im Jahre 2010 rund fünf Prozent zuneigen, nachdem dieser Wert zwischenzeitlich unter vier Prozent lag. Ebenfalls etwas zugenommen – auf 3,4 Prozent – hat der sozialdarwinistische Glaube an ein natürliches Recht des Stärkeren.

CDU und SPD verlieren Rechtsextreme an die AfD

Doch starke Ausschläge sind dies nicht. In der Gesamtschau kommen die Sozialwissenschaftler zu dem Ergebnis, dass "das geschlossene rechtsextreme Weltbild" nur bei 5,4 Prozent der Deutschen zu finden sei. Das ist etwas weniger als 2014, wobei es aber einen sehr leichten Anstieg auf 7,6 Prozent in Ostdeutschland gegeben habe.

Sehr auffällig jedoch ist, wie sehr sich das Wahlverhalten der Menschen mit rechtsextremer Gesinnung verändert hat. Noch 2014 zeigte ein Viertel von ihnen nach eigener Aussage tatsächlich Sympathie für die SPD. Weitere 21 Prozent hätten demnach damals noch der Union ihre Stimme gegeben. Hingegen sprachen sich für die damals schon existierende AfD nur gut sechs Prozent der Rechtsextremen aus.

Das Bild hat sich völlig verändert: 2016 outeten sich fast 35 Prozent dieser Befragten als potenzielle Wähler der AfD. Zugleich ging der Anteil derer, die zur SPD oder Union neigten, um jeweils zehn Prozentpunkte zurück. Somit scheint ein großer Teil jener Wähler, die laut Studie als rechtsextrem zu gelten haben, von den anderen Parteien an die AfD abgegeben worden zu sein.

Gewaltbereitschaft gegen angeblichen Mainstream

Indes sehen die Autoren noch eine weitere Verschiebung, die im Zusammenhang mit rechtsextremem Denken auffällt und bedrohlich wirkt. Da geht es um die Gewaltfrage. Denn gegenüber Daten von 2006 sei festzustellen, dass in einzelnen Milieus die Zustimmung zu Aussagen wachse, wonach individuell ausgeübte, also nicht rechtsstaatlich legitimierte Gewalt gut und richtig sei.

Zwar werde dies von der breiten Mehrheit sowohl der Modernen und Liberalen als auch der traditionell Normorientierten klar abgelehnt. Doch wachse die Zustimmung zu solchen gewaltaffinen Aussagen in den Milieus derer, die sich als Rebellen gegen den Mainstream sehen oder von einem autoritären Staat nur für Deutschstämmige träumen. Ganz wenige Menschen sind das nicht.

So stimmt fast ein Fünftel aller Befragten der Aussage zu: Sie seien "bereit", sich "mit körperlicher Gewalt gegen Fremde durchzusetzen". Immerhin zehn Prozent finden, man müsse "leider zu Gewalt greifen, weil man nur so beachtet wird".

Und mehr als 23 Prozent meinen, dass sie selbst zwar "nie Gewalt anwenden" würden. Aber, so die bejahte Aussage weiter, "es ist schon gut, dass es Leute gibt, die mal ihre Fäuste sprechen lassen, wenn`s anders nicht mehr weitergeht". Die Autoren der Studie sehen hierin eine Tendenz der Gesellschaft zur "Polarisierung und Radikalisierung".

Quelle : welt.de

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