Strategie? Taktik? Laune?

  24 Juni 2016    Gelesen: 629
Strategie? Taktik? Laune?
Sigmar Gabriel löst eine Debatte um Rot-Rot-Grün aus. Hinterher will er alles nicht so gemeint haben. Ja, was denn nun?
Auf die Parteilinke kann sich ein SPD-Vorsitzender nicht immer verlassen, aber darauf, dass ihr Reiz-Reaktions-Schema funktioniert, schon. Kaum hatte Sigmar Gabriel die Worte "progressive Parteien" und "miteinander regierungsfähig" im selben Hauptsatz benutzt, da forderte Hilde Mattheis, Chefin der linken Genossen, ihren Vorsitzenden auf, dem Satz die Tat folgen zu lassen. "Die nächste Gelegenheit hierfür bietet im kommenden Jahr die Bundespräsidentenwahl", ließ Mattheis wissen. "Es wird sich dann zeigen, ob Sigmar Gabriel es ernst meint mit Rot-Rot-Grün." Das Problem ist nur: Gabriel hat Rot-Rot-Grün nicht nur nicht ernst gemeint, sondern gar nicht. Sagt jedenfalls Gabriel – und seitdem darf gerätselt werden, ob er denn wenigstens das ernst meint.

In einem Namensbeitrag für den Spiegel hatte Gabriel am vergangenen Wochenende zu einem Schulterschluss der Mitte-links-Parteien aufgerufen, um den Angriff einer "radikalen bürgerlichen Rechten", verkörpert durch die AfD, auf die liberale Demokratie abzuwehren. Ein Bündnis progressiver Parteien, so schrieb Gabriel, "verlangt einiges von der Sozialdemokratie und ihren denkbaren Partnern". Eine Ankündigung von Rot-Rot-Grün? Als dann noch Außenminister Frank-Walter Steinmeier zeitgleich ein Großmanöver von Nato-Staaten in Osteuropa als "Kriegsgeheul" und "lautes Säbelrasseln" kritisierte, war für viele Genossen und viele Medien gewiss: Die SPD richtet ihren Kurs strikt nach links aus.

Was aussieht wie eine klare, abgestimmte, zielgerichtete Strategie, ist bei näherer Betrachtung weder klar noch abgestimmt oder zielgerichtet, aber eine Strategie bleibt es dennoch.

Als Gabriel zwei Tage nach seinem Mitte-links-Reiz und der Rot-Rot-Grün-Reaktion am Montag vor die Presse tritt, gibt er den Ahnungslosen. Er verstehe gar nicht, wie die Öffentlichkeit seinen Appell zur Frontstellung gegen rechts allein taktisch verstehen könne. Ein rot-rot-grüner Präsidentschaftskandidat sei jedenfalls genauso wenig das Ziel wie eine gleichfarbige Regierung nach der nächsten Bundestagswahl. Wer den Kampf gegen die Feinde der liberalen Demokratie "auf Koalitionsfragen reduziert, der nimmt die Sache nicht ernst genug", meint er. Hinter Gabriel, dem Verantwortungsbewussten, verschwindet Siggi, der Parteistratege, fast komplett. Mit diesem Auftritt dekonstruiert Gabriel seinen Vorstoß nach links so erfolgreich, dass notorische Rot-Rot-Grün-Skeptiker wie der Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz oder die SPD-Rechten des "Seeheimer Kreises" gar nicht erst versucht sind zu opponieren. Sie geben sich mit dem Verantwortungsbewussten zufrieden – und übersehen den Strategen. Doch zu dem später.

Steinmeier, der von Gabriels Appell zum Schulterschluss gegen rechts genauso wenig wusste wie die übrige SPD-Spitze, ist am gleichen Tag seinerseits damit beschäftigt, Missverständnisse aus dem Weg zu räumen. Das Säbelrassel/Kriegsgeheul-Zitat hatte die Bild am Sonntag zwar wortgetreu gedruckt, dabei aber mehrere Vorsätze einfach weggelassen. Als Steinmeier sie am Montag nachreichen lässt, liest sich seine Nato-Kritik entschieden differenzierter. "Mit der Krim-Annexion und den militärischen Aktivitäten in der Ostukraine hat Russland bei unseren östlichen Nachbarn ein Gefühl der Bedrohung entstehen lassen", heißt es da. Eine "gemeinsame Reaktion der Nato" sei richtig. Und: Niemand könne "den vorgesehenen Umfang der Nato-Maßnahmen als Bedrohung für Russland werten". Anschließend erst warnt er davor, durch "Säbelrasseln" und "Kriegsgeheul" die Lage weiter anzuheizen. Allerdings: Kurz nach der Veröffentlichung wirft Steinmeier der Nato vor, im Verhältnis zu Russland die Abschreckung zu sehr zu betonen und die zweite Säule, den Dialog, zu vernachlässigen. Das Ziel dieses Vor-zurück-vor des Außenministers besteht auch darin, sich vom Koalitionspartner abzusetzen: Unsere SPD ist nicht Nato-hörig wie die Union – und mit Russland gehen wir anders um als Angela Merkel. Russland-Verständnis ist eine jener Brücken, über die Sozialdemokraten, Linke und Grüne sich näherkommen. Und ein schönes Wahlkampfthema.

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