Das Problem an diesem kühlen Samstagabend in Lens war, dass sich diese Szenen abspielten, nachdem die 33.523 Zuschauer im Stade Bollaert-Delelis 116 Minuten gepflegte Langweile über sich ergehen lassen mussten - wie so oft bei dieser Europameisterschaft in Frankreich. Im Grunde war es ein Fünf-Minuten-Fußballspiel, das leider 120 dauerte. So steht nun Portugal im Viertelfinale und trifft am Donnerstag in Marseille auf Polen, das sich am Nachmittag im Elfmeterschießen gegen die Schweiz durchgesetzt hatte. Und die Kroaten, die doch in den Gruppenspielen so gut waren, Titelverteidiger Spanien besiegt hatten und als Favorit galten? Setzten nach dem Rückstand in der 117. Minute dann tatsächlich mal alles auf eine Karte. Innenverteidiger Domagoj Vida wäre in der Nachspielzeit dieser Verlängerung um ein Haar noch der Ausgleich gelungen. Doch auch dieser Schuss flog am Tor vorbei.
"Wir haben fast 120 Minuten richtig gut gespielt"
Damit ist es den Kroaten ergangen wie bei der EM 2008 in Österreich und der Schweiz, als sie in der Vorrunde ihre drei Spiele gewannen, auch die deutsche Mannschaft mit 2:1 besiegten und dann im Viertelfinale, das seinerzeit noch direkt folgte, nach 119 langweiligen Minuten in Wien gegen die Türkei in Führung gingen. Ivan Klasnic hatte das 1:0 geköpft, die Teilnahme am Halbfinale schien perfekt. Doch dann glichen die Türken in letzter Minute aus und gewannen im Elfmeterschießen mit 3:1. Nun hatte Trainer Ante Čačić nach dem Coup gegen Spanien gar angekündigt: "Ich glaube, dass wir hier jedes Spiel gewinnen können." Hinterher musste er erklären, warum das nicht geklappt hat: "Wir haben 120 Minuten richtig gut gespielt - und dann einen Fehler gemacht. Dafür wurden wir bestraft. Das ist Fußball." Den Vorwurf, seine Mannschaft habe nicht genügend riskiert, ließ er nicht gelten. "Wir hatten mehr Ballbesitz, wir hatten die besseren Chancen. Aber manchmal reicht das nicht. Nicht immer gewinnt die bessere Mannschaft."
In der Tat waren es die Kroaten, die mit Luca Modrić von Real Madrid, Ivan Racitić vom FC Barcelona, Ivan Perišić von Inter Mailand und dem alternden Mario Mandžukić von Juventus Turin meist die Initiative ergriffen. Aber richtig gut gespielt? Fernando Sanches jedenfalls, der Trainer der Portugiesen, versuchte erst gar nicht, das Trauerspiel zu einem Hochamt der taktischen Raffinesse zu verklären: "Sie haben uns nicht spielen lassen, wie wir wollten." Übersetzt heißt das: Wir hatten nicht mehr drauf, es ging halt nicht anders. Wichtig sei ihm gewesen, den Kroaten keine Gelegenheit zum Konter zu geben. Das ist gelungen. Mehr noch: Als der Gegner gegen Ende der Verlängerung - viel zu spät, weil sich nichts mehr reparieren ließ - dann offenbar doch das Elfmeterschießen vermeiden wollte und zum Zwecke des Torerfolgs weit aufgerückt war, schlugen die Portugiesen zu. "Wenn du gewinnst, bis du glücklich. Heute sind wir die Glücklichen." Sagte der Trainer, dessen Mannschaft sich mit drei Unentschieden in dieses Achtelfinale gemogelt hatte.
Ronaldos Bilanz eher viertklassig
Es sah sehr lange so aus, dass beide Mannschaften viel Ballgeschiebe boten, nahezu fehlerlos und ergo mit wenigen Torchancen, so dass der geneigte Betrachter die Muße hatte, die beiden von den Trikots bis zu den Stutzen neonfarbenen Torhüter zu betrachten: den Kroaten Subašić in Pink und Portugals Rui Patrício in Gelb. Und noch einer stach hervor. Perišić, einst bei der Dortmunder Borussia und dem VfL Wolfsburg unter Vertrag, hatte die Haare schön, sich auf die rasierte linke Seite das kroatische rot-weiße Schachbrettmuster färben lassen. "Karierter Haar-Horror" titelte der Kölner "Express" noch während der Partie.
Und Ronaldo, der dreimalige Weltfußballer der Portugiesen? Wirkte nach seinen beiden Toren beim 3:3 im letzten Gruppenspiel gegen Ungarn, als stünde er neben sich, während die Fans, vor allen die Dauersänger aus Portugal, in der steilen Stadionkiste Bollaert-Delelis für eine ordentliche Stimmung sorgten, die zu einer guten wurde, als beide Mannschaften zu Beginn des zweiten Abschnitts für eine kurze Zeit etwas mehr riskierten. Insgesamt aber war dieses Spiel 116 lange Minuten dann doch von eher geringer Attraktivität - von wegen in der K.o-Runde geht`s dann endlich richtig zur Sache. Regionalligist Rot-Weiß Oberhausen teilte via Twitter mit: "Wer sich #CROPOR reinzieht, kann sich auch ne #RWO Dauerkarte kaufen. Schlimmer ist`s bei uns auch nicht."
Ronaldos Zwischenzeugnis nach einer Stunde war dann auch eher viertklassig: keine Chance initiiert, keinmal geschossen und keine Ballberührung im Strafraum des Gegners. Die hatte er dann in der 67. Minute, als er einen Ball mit der Brust stoppte - oder es zumindest versuchte. Kroatiens Innenverteidiger Domagoj Vida störte ihn gekonnt dabei. Und dass nach 50 Minuten besagter Sanches in die Partie kam, brachte da zunächst auch nichts. Verlängerung also, eine Belohnung war das nicht. Vielmehr drängte sich der Gedanke auf, dass ein Elfmeterschießen gleich zu Beginn der Partie dieser EM verdammt gut tun würde. Doch dann kam jene 117. Minute. Der gute Bald-Münchner Sanches hatte seine beste Szene, als er mit dem Ball am Fuß fast über das halbe Feld lief, und natürlich war Ronaldo dann doch beteiligt - mit seinem ersten Torschuss. Vor der Partie hatte er verkündet: "Ich habe immer gesagt, dass es mein Traum ist, mit der Nationalmannschaft einen großen Titel zu gewinnen." Das ist nicht ausgeschlossen - koste es, was es wolle.
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