Bloß kein Plitschplatsch-Déjà-vu bei der EM!

  26 Juni 2016    Gelesen: 576
Bloß kein Plitschplatsch-Déjà-vu bei der EM!
Do-or-die sagen die Engländer. Klingt martialisch, stimmt aber: Siegen oder fliegen. Erster Stolperstein für die deutsche Nationalmannschaft in der K.o.-Runde der Fußball-EM ist die Slowakei. Und es gibt direkt eine schlechte Nachricht.
Worum geht`s?

Das ist ganz einfach. Zumindest, wenn die deutsche Fußball-Nationalmannschaft gerne Europameister werden will. Dann nämlich darf sie ab jetzt nicht mehr verlieren. Warum nicht? Weil sie nach zwei Wochen kontinentalem Vorrundenrechenchaos nun in der K.o.-Phase der EM angekommen sind. Das bedeutet: Siegen oder fliegen. Nix mehr mit höherer Mathematik oder wilden Wahrscheinlichkeiten. Oder wie es der Kölner Linksverteidiger Jonas Hector gestern Abend in Lille sagte: "In der Gruppenphase kann man sich noch einen Ausrutscher erlauben, notfalls sogar zwei. Jetzt geht’s um die Wurst."

Der Weg zum Titel ist klar. Doch das Tableau meint es wahrlich nicht gut mit der deutschen Auswahl. Zwar wartet auf den Weltmeister heute (ab 18 Uhr im Liveticker bei n-tv.de) mit der Slowakei, bei allem Respekt, noch ein Gegner der Kategorie "Musst-Du-schlagen", danach aber könnte es knackig werden. Im Viertelfinale wartet der Sieger aus dem Duell Spanien gegen Italien und in der Runde der besten Vier könnten Gastgeber Frankreich oder die Engländer warten. Aber wie sagte es der DFB-Fachbeauftragte für Phrasenangelegenheiten, Thomas Schneider, doch diese Woche so wunderbar: "Wenn du Europameister werden willst, musst du jeden Gegner schlagen."

Wie ist die Ausgangslage?

Personell ganz prima. Joachim Löw hat alle 23 Mann zur Verfügung. Auch Jérôme Boateng, der ja nach dem Spiel gegen Nordirland mit seiner Wade zu kämpfen hatte. Beim Abschlusstraining im deutschen Teamquartier in Évian-les-Bains jedenfalls war er dabei. "Im Moment sieht es so aus, dass er spielen kann. Er hat mir das Okay gegeben, dass alles in Ordnung ist", sagte der Bundestrainer. Und auch Hector ist da ganz optimistisch: "Wer die Spiele gesehen hat, weiß, wie wichtig Jérôme für die Mannschaft ist. Ich denke, er ist bereit." Gute Nachrichten gibt’s auch von Kapitän Bastian Schweinsteiger. Der ist laut Co-Trainer Marcus Sorg nämlich "so langsam auf dem Niveau, uns von Anfang an helfen zu können". Winkt da gar ein Startelfeinsatz? Darauf will man sich beim DFB freilich nicht festlegen. Was nicht überraschend kommt, denn das tun sie ja eigentlich nie. Löw ließ sich daher auch gestern in Lille nicht aus der Reserve locken. Nur so viel: "Er wird für uns, glaube ich, in diesem Turnier noch wichtig sein." Erster Streichkandidat wäre Sami Khedira, der zwar solide spielt, aber noch nicht die ihm zugedachte Chefrolle auf dem Rasen einnimmt.

Kommen wir nun aber zu der Sache, die dem Bundestrainer mehr Sorgen bereiten dürfte. Das Wetter nämlich. Gestern schien zwar in Lille noch die Sonne, nur einmal schauerte es kurz. Am heutigen Sonntag aber soll es wieder regnen. Na und? Fußball wird halt draußen gespielt. Doch wir erinnern uns: Vor vier Wochen trafen sich die Slowakei und Deutschland schon einmal, zum Testkick. Den gewannen die Gäste mit 3:1. Die Bedingungen waren eher, sagen wir, interessant. Der Rasen in Augsburg war in der zweiten Halbzeit mehr Plitschplatschbahn als seriöser Untergrund für eine ernstzunehmende Partie. Und doch warnt Schneider: "Die Slowakei ist spielstark." Aber: "Das wird für uns eine schwierige Aufgabe, die wir aber lösen können und werden." Das sieht auch sein Chef so, aber: "Die Slowaken spielen einfach sehr gute Konter. Diese Mannschaft hat eine ähnliche Qualität im Konterspiel wie die Polen."

Übrigens: Drei deutsche Spieler haben bereits eine Gelbe Karte gesehen: Jérôme Boateng, Mesut Özil und Sami Khedira. Bei einer weiteren Verwarnung wären sie für das Viertelfinale gesperrt - sofern die DFB-Elf es erreicht.

Wie ist die deutsche Mannschaft drauf?

Eine wahrlich ganz schwer zu beantwortende Frage ist das. Zu durchwachsen lief die Vorrunde. Beim 2:0-Sieg gegen die Ukraine gab`s unübersehbare Defensivprobleme. Beim 0:0 gegen Polen passte die Abwehrarbeit dann ganz prima, aber die Offensive stockte gewaltig. Und das 1:0 gegen Nordirland? Nun, eine seriöse Einschätzung der Leistung mit Blick auf den weiteren Turnierverlauf ist kaum möglich, viel zu schwach war der Gegner. Was wir aber festhalten können: Deutschland erspielte sich eine irrwitzig hohe Zahl an Topchancen, genutzt haben sie lediglich eine. Das brachte den Bundestrainer auf die Palme. Im Interview mit dem ARD-Kollegen Gerhard Delling wütete Löw: "Mit dem Ergebnis bin ich nicht zufrieden. Wir hätten schon zur Halbzeit 3:0 oder 4:0 führen müssen. Wir sind mit den Chancen sehr fahrlässig umgegangen. Es war eine Frage der Konzentration. Wenn man vier, fünf Mal alleine vor dem Tor steht, dann erwarte ich auch mal, dass wir ein Tor machen." Vor allem einer dürfte sich angesprochen gefühlt haben: Thomas Müller. Er traf Pfosten, Latte und scheiterte auch sonst daran, seinen ersten EM-Treffer zu erzielen. "Das ist natürlich auch Unvermögen in der einen oder anderen Situation", erklärte der Bayern-Star. "Aber bei mir braucht niemand glauben, dass ich vor dem Tor zu lässig agiere, ich wollte jedes Tor machen." Na, bitte - das wird schon (bestimmt). Zur Sicherheit aber mahnte Löw gestern noch einmal: "Jedem von uns ist klar, dass wir gegen die kommenden Gegner nicht so nachlässig mit unseren herausgespielten Chancen sein können. Denn so viele werden wir nicht mehr bekommen." Obacht: Er spricht von "kommenden Gegnern" - Plural.

Was machen die Slowaken so?

Sie zittern - obwohl sie sich doch eigentlich freuen wollten. Aber um Missverständnisse zu vermeiden: Sie zittern nicht vor dem Weltmeister, sondern um das eigene Personal. Fünf Profis aus dem 23er Aufgebot drohen im Achtelfinale auszufallen. Der Berliner Peter Pekarik, Stammkraft auf der rechten Abwehrseite, hat eine gebrochene Nase. Den Kölner Dusan Svento, regelmäßig eingesetzter Ergänzungsspieler, plagen Muskelbeschwerden. Obendrein bangt Trainer Ján Kozák um die Einsätze des früheren Nürnbergers Robert Mak (Muskelblessur), von Miroslav Stoch (Viruserkrankung) und Tomas Hubocan (Fersenblessur). Ansonsten aber ist die Stimmung prima. Die Medien feiern mächtig ab: "Am Sonntag wartet auf uns gegen Deutschland eines der größten Spiele seit unserer Unabhängigkeit", schrieb "Sme.sk". Und die Slowaken rechnen sich da durchaus Chancen aus. Das 0:0 gegen England zum Vorrunden-Abschluss hat sie in ihrem Glauben bestärkt, gegen internationale Topteams mithalten zu können. Ebenso wie der Sieg gegen Spanien in der EM-Qualifikation und besagter Testspielerfolg gegen Deutschland in Augsburg.

Schlüsselspieler des Teams ist der unter anderem von Manchester City und Real Madrid umworbene Marek Hamsik vom SSC Neapel. Den 28-Jährigen könnten Sie eigentlich ganz leicht an seiner Irokesen-Bürste erkennen, wäre da nicht Teamkollege Juraj Kucka. Der hat blöderweise eine ähnlich auffällige Frise. Aber egal, dieser Hamsik jedenfalls ist ein richtig, richtig Guter. Er treibt das Spiel seiner Mannschaft nicht nur an, er hat auch einen verdammt gefährlichen Schuss. Gegen die Russen, beim 2:1-Erfolg in der Vorrunde, erzielte er aus spitzem Winkel eines der schönsten Tor in diesem Turnier. Deshalb warnt Deutschlands Noch-Kapitän Manuel Neuer auch: "Wichtig wird sein, dass unsere Sechser frühzeitig stören. Jeder kennt seine Fernschüsse, da muss man nur mal ein YouTube-Video anschauen." Kein Wunder also, dass vor dem wichtigsten Spiel der Verbandsgeschichte alle in der Slowakei auf eine erneute Hamsik-Sternstunde hoffen. "Der Einzug in die K.o.-Runde ist zwar ein Mannschaftserfolg, aber Marek ist der herausragende Spieler", sagte Verbandsboss Jan Kovacik. "Ich hoffe, er kann seine Form aus der Gruppenphase halten", so der beinharte Abwehrchef Martin Skrtel vom FC Liverpool.

War sonst noch etwas?

Ja, der Rasen in Lille, besser gesagt im Stade Pierre Mauroy. Der war ja bekanntermaßen in einem so fürchterlich schlechten Zustand, dass selbst Europas Elitekicker größte Probleme hatten, den Ball unfallfrei von rechts nach links zu spielen. Also: alter Rasen raus, neuer Rasen rein. Das aber brachte auch wieder Probleme. Denn ein Abschlusstraining auf dem frischen Geläuf war wegen der Neupflanzung nicht möglich. Deswegen absolvierte die deutsche Mannschaft ihre letzte Einheit vor dem Spiel am Samstag noch im Basecamp in Évian. Dem Bundestrainer gefiel`s dennoch, schön sei er, der neue Untergrund. "Ich glaube, dass wir morgen gute Voraussetzungen haben werden", sagte er gestern Abend in Lille. Der neue Rasen kommt übrigens aus den Niederlanden, die damit neben Schiedsrichter Björn Kuipers noch einen weiteren, kleinen Beitrag zur EM leisten. Sollte es für Deutschland schiefgehen - bitte keine Verschwörungstheorien!


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