Karneval funktioniert in Köln - Demokratie nicht

  20 Oktober 2015    Gelesen: 457
Karneval funktioniert in Köln - Demokratie nicht
Die künftige Oberbürgermeisterin wurde vor der Wahl fast umgebracht. Doch die Kölner reagierten nicht mit einem "Jetzt erst recht". Sie sollten sich schämen.
Vor wenigen Monaten hatte eine Kölner Brauerei beschlossen, dass von nun an auch im August Karneval gefeiert wird. Es klang wie ein Witz, aber es wurde ein riesiger Erfolg: Schon am frühen Morgen waren Zehntausende verkleidet und betrunken in den Straßen unterwegs. Karneval funktioniert. Demokratie nicht.

Am Wahlsonntag in Köln waren die Straßen so leer wie die Wahllokale, in denen gerade einmal vierzig Prozent der Bürger ihre Stimme abgaben. Das ist ein so erbärmlicher Wert, dass man sich im Rest des Landes fragt: Was stimmt nicht mit den Kölnern? Muss man neben den Wahlkabinen Kölschfässchen aufstellen, damit jemand kommt? Ihre künftige Oberbürgermeisterin Henriette Reker wurde vor der Wahl fast umgebracht, die ganze Republik erwartete nun ein "Jetzt-erst-recht aus Köln" - die Kölner gingen aber erst recht nicht zur Wahl, lieferten das schlechteste Ergebnis seit Kriegsende ab. Sie sollten sich schämen.

Es sei eine Frage des Personals, das da zur Wahl stand, murmeln nun einige Kölner. Sie sind damit nicht allein, im ganzen Land bleiben die Bürger den Wahlen fern. Sie sagen, man habe doch eh keine richtige Wahl, die Politik mache doch ohnehin, was sie will. Die Gesellschaft hat sich aufgeteilt: Auf der einen Seite ist die Minderheit, die sich noch engagiert. Auf der andere Seite steht die Mehrheit und benotet das Engagement der wenigen, verteilt Haltungsnoten, findet alles Mist. Bisher hat man immer versucht, den Nichtwähler ernst zu nehmen, ihn nicht zu verschrecken. Köln ist nun ein gutes Beispiel, um zu sagen, dass nicht immer nur die Politik es ist, die sich ändern muss - sondern der Nichtwähler; er hat offenbar wenig Interesse, sich mit den Realitäten zu beschäftigen.

Der Kölner Wahlkampf lieferte keine Entschuldigung für Politik-Abstinenz: Reker und ihr SPD-Gegenkandidat Jochen Ott haben sehr grundsätzliche Fragen danach gestellt, warum in Köln so vieles schiefläuft, warum sich diese Stadt immer wieder zur Lachnummer des Landes macht: der U-Bahnbau; die Oper, die ohne Spielstätte dasteht; Wahlen, die nicht richtig ausgezählt oder die verschoben werden müssen, weil man es nicht einmal schaffte, ordentliche Stimmzettel zu drucken. Es ging im Wahlkampf darum, ob aus einer lässigen Stadt eine zu nachlässige geworden ist.

Den meisten Kölnern ist das völlig egal. "Et hätt noch emmer joot jejange" und alle die anderen Sprüche des Rheinischen Grundgesetzes, von denen man dachte, die könne doch ohnehin niemand mehr hören - sie scheinen immer noch zu gelten und haben bleibenden Schaden hinterlassen.

Viele Kölner haben keine Haltung mehr, sie haben den Attentäter gewinnen lassen, in dem sie seiner Tat keine starke Reaktion entgegenstellten. Sie haben ihre neue Oberbürgermeisterin im Stich gelassen. Die Demokratie ist nicht nur von denen bedroht, die Demokraten tätlich angreifen. Demokratie wird auch von jenen bedroht, denen die Demokratie offenbar egal ist. Sechzig Prozent der Kölner gehörten am vergangenen Sonntag dazu.

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