Der Brexit hat einen Ausverkauf von Bankaktien in ganz Europa ausgelöst. Besonders in Italien sind die Kurse dadurch weiter unter Druck geraten. Seit Jahresbeginn haben die Geldhäuser dort mehr als die Hälfte ihres Börsenwerts verloren. "Im Finanzsektor könnte es zu einer Katastrophe kommen", warnt der ehemalige Schweizer Zentralbankchef Philipp Hildebrand bereits. "Jetzt kommt so etwas wie die zweite Welle - neun Jahre nach der Finanzkrise."
"Italien kann eine größere Gefahr für die Eurozone werden als der Brexit", fürchtet auch Neil Wilson von der Handelsfirma ETX Capital. Auch der Internationale Währungsfonds (IWF) drängt Rom, seine angeschlagenen Banken so schnell wie möglich zu sanieren. "Die Reform des Finanzsektors ist entscheidend, um Stabilität herzustellen und die Erholung zu unterstützen". Denn nirgendwo sonst in Europa gibt es mehr faule Kredite als in Italien.
Diesmal droht allerdings politischer Streit statt unüberwindbarer wirtschaftlicher Probleme eine neue Finanzkrise auszulösen. Die Regierung in Rom will die Banken mit Steuergeld retten. Doch die EU verbietet das. Wenn sich beide Seiten nicht einigen, könnte die Krise von Italien auf andere Länder übergreifen. Die Ansteckungsgefahr ist groß. Die schwelende Unsicherheit hemmt das Wachstum. Und birgt die Gefahr, dass die Märkte durch einen weiteren Schock vollends ins Rutschen geraten. Es wäre ein hausgemachter Crash.
Mehr Banken als Pizzerias
In keiner anderen der 20 wichtigsten Wirtschaftsnationen der Welt gibt es mehr Bankfilialen als in Italien. Hunderte kleiner und ineffizienter Regionalinstitute vergeben seit Jahren ungehindert Kredite. Durch ein Jahrzehnt Flaute und drei Jahre Rezession explodiert nun die Zahl der faulen Kredite. Ein Drittel aller ausfallgefährdeten Darlehen in der Eurozone schlummert inzwischen in Italien. Die Geldhäuser sitzen auf Bilanzmüll von rund 370 Milliarden Euro - ein Fünftel der italienischen Wirtschaftsleistung. Mehr als die Hälfte der faulen Kredite sind sofferenze ("notleidend"), werden also gar nicht mehr bedient, weil die Schuldner pleite sind.
All das ist lange bekannt. "Die faulen Kredite sind eine Altlast der Krise statt ein neues Problem", schreibt die Ratingagentur Scope in einer Analyse. Laut Finanzexperten bräuchten Italiens Banken schlimmstenfalls rund 40 Milliarden Euro, um die Bilanzlöcher zu stopfen.
Die italienische Regierung will ihnen Finanzspritzen geben. Sie bräuchte dafür womöglich noch nicht einmal Hilfe aus anderen EU-Staaten - anders als Griechenland, Spanien und Irland, die für die Rettung ihrer Geldhäuser Dutzende Milliarden vom Euro-Rettungsschirm bekamen. Doch Finanzminister Wolfgang Schäuble, Eurogruppenchef Dijsselbloem und die EU sind strikt dagegen. Denn Italien ist der Testfall, wie ernst es Europa mit seinen neuen Regeln für die Bankenrettung meint.
Die verlangen, dass zunächst Bankeigentümer und -gläubiger haften müssen, bevor der Staat einspringt. So soll verhindert werden, dass Banken wie in der Finanzkrise noch einmal mit Milliarden an Steuergeld gerettet werden müssen. Die neue Richtlinie zur Bankenabwicklung ist erst Anfang 2016 in Kraft getreten. "Die Glaubwürdigkeit der Regeln zum Schutz aller Steuerzahler in Europa darf nicht bei der erstbesten Gelegenheit infrage gestellt werden", fordert SPD-Haushaltsexperte Carsten Schneider.
Italiens Omas und Opas als Ausrede
Das bringt Italiens Premierminister Matteo Renzi in die Zwickmühle. Staatshilfen darf es nach den neuen Regeln erst geben, nachdem die italienischen Anleger geblutet haben - undenkbar in einer Nation von Kleinsparern. Investiert haben in die Aktien und fragwürdigen Anleihen der Banken viele kleine Leute. Rom will für abstrakte Prinzipien nicht zehntausende Italiener um ihre Ersparnisse bringen. Italien benutze seine Omas und Opas als Ausrede, halten Kritiker dagegen: "Der Bestandsschutz italienischer Kleinanleger ist kein Grund, die EU-Regeln zu brechen", sagt Christoph Schmidt, der Chef der deutschen Wirtschaftsweisen.
Für Italiens Premierminster ist die Bankenrettung eine Schicksalsfrage. Matteo Renzi hat seine politische Zukunft an ein Verfassungsreferendum im Oktober geknüpft. Fällt es durch, sind Neuwahlen unausweichlich. Kurz vor der Volksabstimmung zehntausende italienische Mammas auf die Straße zu setzen, wäre eine denkbar schlechte Bewerbung. Renzi hat das Zeitfenster für die Bankenrettung schlicht verpasst. Bis zum Inkrafttreten der neuen EU-Bankenrichtlinie 2016 wären Staatshilfen kein Problem gewesen. Nun ist es zu spät.
Auch sonst hat Italien die Strukturprobleme im Bankensektor jahrelang verschleppt. In Spanien, Irland und Deutschland wurden nach dem großen Crash von 2008 und während der Eurokrise Rettungsfonds und "Bad Banks" eingerichtet. In Italien gibt es sie bis heute nicht. Schon 2014 fielen bei den Stresstests der EU-Bankenaufsicht (EBA) neun italienische Banken durch - soviele wie in keinem anderen Land. Die EBA errechnete ein Kapitalloch von rund neun Milliarden Euro. Doch nichts passierte. Denn weil die meisten italienischen Banken nur regional agieren, sind sie eng mit der Lokalpolitik verbandelt. Die Provinzfürsten wehren sich beharrlich gegen alle Reformversuche. Zehntausende Jobs und hunderte Filialen wären bedroht.
Eine Hintertür zur Lösung des Schlamassels gibt es: Laut den neuen EU-Regeln dürfen Staaten ihren Banken beispringen auch ohne vorher die Gläubiger zu rasieren, falls eine schwere Störung der Volkswirtschaft droht und die Finanzstabilität gewahrt werden muss. Vielleicht dauert es bis dahin gar nicht mehr lange. Am 29. Juli veröffentlichen die EU-Bankenaufseher ihre neusten Stresstests.
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