Radfahrer sollen auch bei Rot fahren dürfen

  14 Juli 2016    Gelesen: 501
Radfahrer sollen auch bei Rot fahren dürfen
Der grüne Bundestagsabgeordnete Dieter Janecek verweist auf gute Erfahrungen in Paris und den USA. Doch ausgerechnet die Radfahrer-Lobby widerspricht. Deutschland sei noch nicht reif dafür.
Berufsverkehr morgens um 9 Uhr in Berlin. An einer eher überschaubaren Kreuzung im Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg drängeln sich ein Dutzend Fahrradfahrer auf dem ein Meter knappen Radstreifen neben der Fahrbahn. Der Autofahrer daneben blickt nervös zur Ampel hoch. Er möchte einfach nur weg – die Radfahrer an seiner Seite sind zusätzlicher Stress.

Von hinten fahren derweil noch mehr Radfahrer auf. Manche ärgern sich über das Gedränge vor der roten Ampel, sie klingeln sich eine Gasse frei und treten in die Pedale. Es ist ein Verhalten, das sich x-fach in deutschen Städten beobachten lässt – obwohl der Verkehrsverstoß offensichtlich ist.

Viele Autofahrer bestärken solche Rotlichtverstöße in ihrer Abneigung gegen Fahrradfahrer. Doch die argumentieren anders. Das frühere Losfahren biete ihnen Sicherheit, finden einige. Sie müssten nicht eng gequetscht zwischen und neben Autofahrern stehen, keine Abgase einatmen. Es entzerre generell den Verkehr.

Schränken Ampeln die Leichtigkeit des Radelns ein?

Und so denken auch die Grünen. Radler sollen bei Rot zwar weiterhin anhalten müssen, dürften dann aber weiterfahren, falls es der Verkehr erlaube, sagte der Grünen-Politiker Dieter Janecek der "Bild"-Zeitung. "In Paris sind schon rund 2000 Ampeln rot-befreit für Radfahrer. Die Erfahrungen sind dort wie auch im US-Bundesstaat Idaho ausgesprochen gut, Unfallzahlen nehmen ab."

Die Diskussion um den genehmigten Rotlichtverstoß ist nicht neu. Sie schwelt schon einige Jahre. Rückenwind gibt es vom Fachbereich Verkehrsplanung und Verkehrstechnik der TU Wien.

Mobilitätsforscher Ulrich Leth sagte der österreichischen Zeitung "Die Presse" bereits 2013, er halte die Forderung für eine "sinnvolle Legalisierung vom bereits weitverbreiteten Verhalten, rote Ampeln – immer unter Berücksichtigung der Sicherheit aller Beteiligten – zu überqueren".

Es sei nicht nachvollziehbar, wieso die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Fußgänger- und Radverkehrs durch Autoampeln eingeschränkt werden sollten, wenn es kein Gefährdungspotenzial gebe.

Wichtiger sind Fahrradwege, sagen Lobbyisten

Doch ausgerechnet die Fahrradfahrerlobby in Deutschland geht vorsichtig auf Distanz. Heinrich Strößenreuther, einer der Initiatoren des Volksentscheids Fahrrad in Berlin, hält die Idee aus Idaho und Paris zwar für grundsätzlich richtig. Dennoch sei das in der aktuell aufgeheizten Stimmung nicht vermittelbar.

"Im Moment läuft der Verkehr wie in einem Rattenkäfig ab. Es gibt mehr Verkehrsteilnehmer und weniger Verkehrsfläche. Das führt zu Aggressionen. Über diesen Rotlichtvorstoß können wir in ein paar Jahren nachdenken, wenn sich die Gemüter beruhigt haben", sagt Strößenreuther.

"Wir haben darauf verzichtet, diese Forderung beim Volksentscheid Fahrrad aufzunehmen. Wichtiger sind mehr abgetrennte Flächen für Fahrradfahrer." Im Übrigen müssten dann auch Autofahrer von einer solchen Regelung profitieren. "Warum sollen Autos nachts um 2 Uhr – wenn es draußen fast menschenleer ist – minutenlang an einer Ampel stehen?"

Schlechtes Vorbild für Kinder

Ähnlich sieht es der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club (ADFC). "Das Thema hat für uns nicht oberste Priorität", sagt Sprecherin Stephanie Krone. "Wichtig ist, dass der Radverkehr mehr Platz im Straßenraum bekommt – und dass Fahrradinfrastruktur durchgängig und in gutem Zustand ist." Lediglich Rechtsabbiegen bei Rot an geeigneten Kreuzungen könne ein Baustein sein, um den Radverkehr zügiger zu gestalten.

Ein Pilotversuch in Basel habe diesbezüglich positive Ergebnisse gebracht, sagt Krone. Demnach sei es während des Versuchs zu keinen Unfällen gekommen, zudem habe sich der Verkehrsfluss für sowohl Auto- als auch Fahrradfahrer erhöht.

Erwartbar ablehnend reagiert der verkehrspolitischen Sprecher der Unionsfraktion Ulrich Lange auf den Vorstoß der Grünen. "Alle Verkehrsträger gehören zum Straßenverkehr und müssen daher bestimmte Regeln befolgen.

Gerade für Kinder wäre das ein schlechtes Vorbild, das zur Verwirrung bei den Straßenverkehrsregeln führen würde. Es gibt daher für eine Änderung keinen Grund. Radfahrer sind keine Verkehrsteilnehmer besonderer Klasse", sagte Lange der "Welt".

Unnötiges Herumstehen an roten Ampeln vermeiden

Die SPD liegt mit dem ADFC auf Linie. Auch sie will Abbiegen bei Rot erlauben. Im Positionspapier der Arbeitsgruppe Verkehr und digitale Infrastruktur der Fraktion heißt es, man wolle "im Lichte entsprechender Erkenntnisse aus anderen Ländern Radfahrern durch eine Änderung der StVO und die Einführung eines entsprechenden Zusatzschildes erlauben, an ausgewählten, ungefährlichen Kreuzungen auch bei roter Ampel rechts abzubiegen".

Noch einen Schritt weiter geht die Linke. Rechtsabbiegen an roten Ampeln sei nur ein erster Schritt. Die verkehrspolitische Sprecherin Sabine Leidig sagte der "Welt": "Natürlich heißt das nicht, dass man mit dem Fahrrad über rote Ampeln fahren darf! Es würde nur bedeuten, dass man nicht unnötig an roten Ampeln stehen muss, wenn weit und breit kein Auto kommt."

Quelle : welt.de

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