Diese Studentin trägt Kleider wie vor 200 Jahren

  19 Juli 2016    Gelesen: 1652
Diese Studentin trägt Kleider wie vor 200 Jahren
Sie findet Korsetts bequemer als BHs und liest 200 Jahre alte Modezeitschriften: Mariell Felicitas designt historische Kostüme – und trägt selbst keine moderne Kleidung mehr.

Die schönste Zeit des Tages ist für Mariell, 23, zwischen Mitternacht und zwei Uhr nachts. Nicht auf Barhockern oder Tanzflächen, sondern zuhause. Wenn alles dunkel und still ist, schneidert sie. Steckt Schleifen zusammen, stickt Verzierungen auf Kleider, lässt die Nähmaschine rattern.

Mariell hat so etwas wie ein Kleinunternehmen in der Zeitreise. Sie näht historische Gewänder: maßgeschneiderte Korsetts, Wikinger-Kleidung für Fotoshootings oder historische Hochzeitsgewänder. Schon als Kind interessierte sie sich für Geschichte. „Ich bin zwischen Archiven und Büchern aufgewachsen“, sagt Mariell. Als sie mit 15 Jahren zum ersten Mal auf einem Mittelaltermarkt war, fiel ihr der Polyester in den Kostümen auf. „Ich habe mich gefragt: Warum zum Teufel ist das Zeug aus Plastik?“ Nach einer Vorlage aus dem Internet nähte sie ihr erstes Mittelalter-Kleid – und konnte mit dem Nähen gar nicht mehr aufhören.

Bald arbeitete sie für Bekannte, rasch nahm sie Aufträge an. Aus dem Hobby wurde irgendwann ein Gewerbe, mit dem sie sich mittlerweile das Studium finanziert: In München studiert Mariell Kunstgeschichte mit dem Schwerpunkt Kostümgeschichte. Auch wissenschaftlich interessiert sie sich dafür, was die Leute wann modisch fanden. „Das vereint so viele Gebiete: Kunstgeschichte, Sozialgeschichte, Politik, Innovation, Wirtschaft.“

„Leute wollen meinen gepolsterten Hintern anfassen“

Viele von Mariells Kleidern sind historisch korrekt. Ihr Keller ist vollgestopft mit Kostümen: Da hängen gleich drei Kleider aus den 1770ern, ein Reitanzug und eine Robe à la française – ein ausladendes Kleid aus dem 18. Jahrhundert. „Ich nähe Kleider, die größer als meine Ein-Zimmer-Wohnung sind“, sagt Mariell und lacht.

Um sie in Szene zu setzen, arbeitet Mariell mit Fotograf*innen zusammen und modelt selbst. Auf dem Weg zu den Shootings ist sie schon mal mit Haarturm und einer Art Reifrock in der Öffentlichkeit unterwegs. Nervt das nicht, wenn man ständig angestarrt wird? „Die Leute gucken gar nicht so sehr wie erwartet“, sagt Mariell und lacht. „Manchmal kommen doofe Kommentare oder Leute wollen meinen gepolsterten Hintern anfassen. Aber dann kriegen sie eins auf die Finger.“















Do-it-yourself-Haarpomade und bequeme Korsetts

Sind alte Moden nicht unbequem? Jeder kennt die Klischees aus Hollywoodfilmen und Geschichtsromanen: Damit eine Dame im 18. Jahrhundert eine möglichst enge Taille bekommt, wird am Korsett gezerrt und geschnürt. Die Lady schaut dann wahlweise gequält oder fällt gleich ganz in Ohnmacht.

„Das ist eine Urban Legend!“, sagt Mariell. „Ein gut geschnittenes Korsett tut nicht weh und kneift nicht – ich finde das sogar viel bequemer als moderne BHs.“ Mit ihren Outfits geht Mariell um wie vor 200 Jahren: Die Hauben stärkt sie mit Speisestärke, die Haarpomade kocht sie selbst, und statt mit der Waschmaschine wäscht sie viele empfindliche Stücke mit Hand.

Moderne Kleidung trägt Mariell überhaupt nicht mehr

Mariell schneidert den Großteil ihrer Kleidung selbst, sogar die Unterwäsche. „Für mich ist die heutige Mode nichts. Sie gefällt mir nicht, ich fühle mich nicht wohl, die Klamotten passen nicht.“ Sie trägt keine Hosen mehr, sondern nur noch Röcke und Kleider – alles aus den 40er- und 50er-Jahren. Statt der Vogue oder der Glamour liest Mariell deutsche Mode-Zeitschriften aus dem 18. Jahrhundert. Die haben dann so klangvolle Namen wie „Journal des Luxus und der Moden“.

Die Recherche dauert meist länger als das Schneidern – schließlich will Mariell historisch korrekte Schnittvorlagen erstellen. Später will sie in die Wissenschaft gehen. Doch bei aller Liebe zur Vergangenheit: Mariell lebt am liebsten in der Gegenwart. „Wenn ich hübsche Kostüme trage, freue ich mich zwar daran, wie schön die Welt um 1800 war – aber das ist eine Fantasie. Mein Leben ist nicht so doof, dass ich hier wegmuss.“

Quelle: ze.tt

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