Napoleon kam mit dem Schiff. Als der französische Kaiser 1815 in die Verbannung nach St.Helena gehen musste, gab es auch kein anderes Verkehrsmittel, um das Eiland im Südatlantik zu erreichen. Das dürfte auf absehbare Zeit auch so bleiben. Die rund 4000 Saints, wie die Bewohner des britischen Überseegebiets genannt werden, müssen auch weiterhin das Schiff nehmen, wenn sie verreisen wollen. Das kann ja ganz nostalgisch sein, immerhin ist die RMS St. Helena, die die Verbindung zum Festland herstellt, eines der letzten Postschiffe der britischen Krone. Aber die Reise nach Kapstadt dauert fünf Tage – eine zeitraubende Angelegenheit, wenn man schnell einmal etwas erledigen will.
Warum also nicht fliegen – verfügt doch St. Helena über einen nagelneuen Flughafen. Ja, warum eigentlich nicht? Die Antwort kennt nur der Wind, möchte man da einfach Johannes Mario Simmel zitieren. Denn besser als mit dem Titel eines Buchs des deutschen Schriftstellers kann man die Posse um den Insel-Airport nicht beschreiben. Den Flughafen gibt es zweifelsohne, aber er ist nicht in Betrieb, wie die Inselregierung vor Kurzem verfügte. Bis auf Weiteres geschlossen, lautet der Befehl.
Beim Testflug zweimal durchstarten. Und das nicht ohne Grund: Bei den Testflügen hatte sich nämlich herausgestellt, dass sogenannte Scherwinde gefährliche Turbulenzen auslösen und Start und Landung so gut wie unmöglich machen. Scherwinde sind in der Fliegerei gefürchtet, denn sie ändern Stärke und Richtung abrupt. Die Boeing 737-800 der südafrikanischen Fluglinie Comair musste beim Testflug zweimal durchstarten, bevor sie mehr schlecht als recht auf die Piste schwankte. Viel zu gefährlich, befanden die Piloten, und die Behörde sah ein, dass sie so ein hohes Risiko nicht eingehen konnte. Sollte nämlich ein Flugzeug den Landeanflug abbrechen müssen, was bei solchen Scherwinden gewöhnlich passiert, gibt es erst auf der 1100 Kilometer entfernten Insel Ascension einen Flughafen. Dieser ist aber noch kleiner. Um auf das afrikanische Festland zurückkehren zu können, muss man aber genügend Sprit mithaben.
Ein viel zu großes Risiko. Also döst der Flughafen vorerst vor sich hin – wenn nicht eine steife Brise über die Piste fegt. Eine Lösung werde „einige Zeit in Anspruch nehmen“, ließ die Inselregierung lapidar wissen. Tatsächlich hat sie aber keine Idee. Man könnte zwar kleinere Flugzeuge einsetzen, wird nun in London und St. Helena erwogen. Aber sie dürften in den teuflischen Winden erst recht Probleme haben.
Ein Schildbürgerstreich – und ein äußerst kostspieliger noch dazu. Denn der Geisterflughafen hat die schlichte Summe von fast 350 Millionen Euro verschlungen. Das ist zwar im Vergleich zu den möglichen Brexit-Folgen ein Klacks, aber die Verantwortung für das Desaster möchte weder auf der großen Insel im Nordatlantik noch der kleinen im Südatlantik jemand übernehmen.
Dabei sind die Winde keine Erfindung des 21. Jahrhunderts. Schon zu Napoleons Zeiten kannte man die tückischen Wetterkapriolen. Doch was tut man nicht alles, um den Anschluss an die Welt zu bekommen. Schon in den 1960er-Jahren gab es erste Ideen für einen Flughafen auf der Insel. Rund um das Jahr 2000 wurde es ernst, und die Inselregierung griff das Projekt wieder auf. Die Finanzkrise brachte erneut einen Rückschlag, aber 2011 wurde der Vertrag für den Bau unterzeichnet.
Welche Hoffnungen wurden nicht an den Flughafen geknüpft: Vor allem sollte sich die wirtschaftliche Situation der Insel bessern, denn viele Arbeitsmöglichkeiten boten sich vor allem für gut Ausgebildete bis dato nicht. Von 1998 bis 2008 sank die Bevölkerungszahl von 5200 auf 4300 Personen. Jedes Mal, wenn das Postschiff ablegte, waren wieder ein paar Auswanderer an Bord, wurde geätzt. Nicht nur der Bau selbst sollte neue Jobs schaffen, sondern vor allem der Tourismus, der angekurbelt werden sollte. 4000 Besucher pro Jahr sind ja wahrlich nicht viel. Aber die von der Regierung anvisierten 200.000 Gäste weckten nicht nur Begierden, am internationalen Reiseboom endlich mitnaschen zu können. Andere schreckte der Gedanke an Lärm, Müll und die mit dem Bau neuer Hotels verbundene Zerstörung der Natur. Die Ruhe und Abgeschiedenheit, die bisher die Einzigartigkeit ausmachten, waren in Gefahr, sagten Naturschützer. Das Hauptargument gegen den Airport waren aber die Kosten, die in keinem Verhältnis zum Nutzen stehen würden.
Wie recht die Skeptiker doch hatten. Und da wussten sie noch gar nicht, dass die veranschlagten 150 Millionen Euro an Baukosten sich letztlich mehr als verdoppeln würden. Auch das war absehbar, denn für die Piste musste erst einmal eine ebene Fläche geschaffen werden: Zwei Hügel wurden abgetragen, eine Schlucht wurde aufgefüllt und eine Art Viadukt gebaut. Nahezu zwei Jahre lang bewegten 19 Lastwagen Schutt, Erd- und Felsmassen. Der Zement musste per Schiff aus Namibia gebracht werden. Vier Jahre lang wurde gebaut.
Steiler Abbruch ins Meer. Das Plateau, auf dem die Piste liegt, fällt am Ende 300 Meter tief steil ins Meer. Der Flughafen ist also auch bei Windstille eine echte Herausforderung für Piloten. Aber vorerst müssen sie ihr Können nicht auf St. Helena beweisen.
Noch existiert er, der Traum vom Fliegen. Und die Saints können sich damit trösten, dass sie nicht die Einzigen sind, die wegen ihres Geisterflughafens belächelt werden. Der Grund für diese Flops sind meist Fehlplanungen (zu optimistische Annahmen von Passagierströmen), manchmal auch rechtliche Probleme. Vor allem Spanien ist reich an solchen Investitionsruinen.
Quelle: diepresse.com
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