Wie sieht das Land hinter den Hochglanzbildern aus?

  27 Juli 2016    Gelesen: 384
Wie sieht das Land hinter den Hochglanzbildern aus?
Die Malediven stehen für Luxustourismus und Nobelresorts. Doch Urlauber können auch einige der Einheimischen-Inseln besuchen – und so den wahren Alltag kennenlernen. Paradies von hinten, sozusagen.
Unter der glühenden Mittagsonne legt das Expeditionsschiff ab und steuert die Reisegruppe Richtung unbekanntes Terrain. Bei ruhigem Seegang wird die Fahrt etwa 45 Minuten dauern.

Ibrahim bleibt Zeit, mit jedem Teilnehmer zu plaudern, bevor das Abenteuer beginnt. Wie es einem gehe? Woher man komme? Ob man das erste Mal auf den Malediven sei? Nein, nicht das erste Mal, aber man sei noch nie auf einem "local island" gewesen, also auf einer Insel, auf der echte Malediver leben.

Ziel des Ausflugs ist Velidhoo, eine Einheimischen-Insel im Atoll Noonu im Nordosten. Startpunkt ist The Sun Siyam Iru Fushi, eine Hotelinsel für klassischen Malediven-Traumurlaub. Obwohl das Hotel voll besetzt ist, haben nur 20 Gäste Lust auf den Abstecher in die maledivische Realität.

Nun ist Realität auch nicht das, was die meisten Urlauber auf den Malediven suchen. Der 298 Quadratkilometer große Inselstaat im Indischen Ozean besteht zu 99 Prozent aus Wasser, das restliche Prozent verteilt sich auf rund 1200 Inseln. Davon werden etwa 220 von Einheimischen bewohnt und mehr als 100 sind Resort-Inseln für Urlauber.

Wie leben die Einheimischen auf den Malediven eigentlich?

Die Trennung von Alltag und Tourismus war von Anfang an Teil des Konzepts für hochpreisigen Traumurlaub, als sich das Land 1972 für ausländische Gäste öffnete. Auf zuvor unbewohnten Inseln konnte man die von keiner Wirklichkeit getrübten Fantasiewelten am besten errichten. Dort hatte man Platz für die Hotelbauten, konnte elegant das landesübliche Alkoholverbot umgehen und musste sich nicht um das Benehmen der Gäste und ihre Vorliebe für knappe Badekleidung sorgen, die auf einem "local island" zumindest für unerwünschtes Aufsehen gesorgt hätte.

Das Konzept ging auf. Heute hat das Land mehr als 120 Häuser mit vier oder fünf Sternen. Der Tourismus macht über ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts aus und gehört zu den wichtigsten Wirtschaftsfaktoren.

Andererseits hat die Trennung von Gästen und Einwohnern auch Misstrauen befeuert. Was geht in dem Land eigentlich vor? Hat es etwas zu verbergen? Vegetieren die Menschen in Knechtschaft und Armut, während gleich nebenan Urlauber verantwortungslos ihren Traum von Luxus leben?

Auf Velidhoo hängen coole Kids vor dem Supermarkt herum

Zumindest auf Velidhoo ist davon nichts zu sehen. Weder liegen dort Bettler unter Palmen, noch führt ein eigens bestelltes Empfangskomitee ein folkloristisches Tänzchen auf, das kritischen Gästen den Blick auf die Verhältnisse vernebeln soll.

Es wirkt eher so, als wären die fremden Besucher den Inselbewohnern ziemlich egal. Ibrahim erzählt, dass auf der 1130 Meter langen und 650 Meter breiten Insel etwas über 2000 Menschen leben. Auf den ersten Blick sind davon allerdings nur ungefähr sieben zu sehen. Seelenruhig machen sie sich an zwei Yachten zu schaffen.

Der Schiffbau, sagt Ibrahim, sei ein wichtiger Arbeitgeber auf der Insel. Ansonsten sind die Straßen leer. Die Kinder sind in der Schule, die Fischer auf See, und wer nicht unbedingt muss, zieht es vernünftigerweise vor, die heiße Mittagssonne zu meiden.

Eine Frau auf einem Moped passiert die Reisegruppe, die mit ihren Fotoapparaten im Anschlag versucht, das Besondere im Alltäglichen zu entdecken. Es gibt mehrere Moscheen, ein Krankenhaus, ein Gericht und eine Polizeistation, die sogar mit einem Auto ausgestattet ist. Die Häuser sind in allen Farben des Regenbogens gestrichen.

Wie überall sonst in Weltgegenden, in denen absolut nichts los ist, hängen die coolen Kids mit ihren Fahrrädern vor dem Supermarkt herum und hören Musik. Ein Hip-Hop-Fan hat die Namen Puff Daddy und Wolfpack an einen Dachbalken gepinselt, an den Häuserwänden wirbt die Oppositionspartei MDP um die Gunst jugendlicher Wähler.

Weil Ibrahim seiner Reisegruppe etwas bieten will, muss noch ein Geschenkartikelladen angesteuert werden, in dem man vermeintlich Ortstypisches wie Tassen und Schlüsselanhänger erwerben kann, die tatsächlich aber "made in China" sind. Die verlangten Fantasiepreise ersticken indes jede Kaufabsicht im Keim. Die Verkäuferin nimmt es gleichmütig hin, als sei ihr Laden mehr Hobby als Geschäft.

Nach einem Snack im örtlichen Imbiss gibt es auf Velidhoo nach zwei Stunden nichts mehr zu bestaunen. Zufrieden mit seiner Arbeit führt Ibrahim die Gruppe zum Boot. Man lehnt sich nicht zu weit über die Reling, wenn man behauptet, dass es mit dem Erfolg der Malediven als Reiseland nicht ganz so weit her wäre, wenn man versucht hätte, den Tourismus in den Alltag zu integrieren.

Am "Bikini Beach" ist westliche Bademode erlaubt

Von weiten Teilen der Weltöffentlichkeit fast unbemerkt hat die maledivische Regierung allerdings inzwischen einige "local islands" für den Tourismus freigegeben. Um Wirtschaft und Infrastruktur zu stärken, gibt es auf über 30 bewohnten Inseln Pensionen, in denen Touristen mit überschaubarem Budget absteigen können – vorausgesetzt, sie möchten auf Alkohol, Entertainmentprogramm und gastronomische Vielfalt verzichten. Thunfischcurry gibt es hier schon zum Frühstück.

Westliche Bademode ist in dem islamischen Land untersagt, es sei denn, dass die örtliche Verwaltung sich ganz pragmatisch zeigt und einen sogenannten "Bikini Beach" eingerichtet hat. Falls es den nicht geben sollte, haben Einheimische vielerorts die Geschäftsidee entwickelt, ihre Gäste an den Strand einer unbewohnten Insel zu verschiffen, wo sie am Leib tragen können, was ihnen gefällt.

Als die Malediven in diesem Jahr offizielles Partnerland der Internationalen Tourismusbörse in Berlin waren, brach eine Welle der Empörung aus, dass man den Eindruck gewinnen konnte, es handele sich bei dem Land um eine Mischung aus Syrien und Saudi-Arabien – nur eben mit sehr viel mehr Wasser. Medien berichteten von islamistischen Straßengangs in der Hauptstadt Malé und von einem Steinigungsurteil, das allerdings aufgehoben wurde.

Tatsächlich gab es auf den Malediven seit über 60 Jahren keine Hinrichtungen mehr, und statt mit marodierenden Islamisten bekommt man es als ausländischer Besucher in Malé eher mit erschütternd freundlichen Menschen zu tun, die sofort herbeieilen, wenn man ratlos auf seinen Stadtplan starrt, und in erstaunlich gutem Englisch Hilfe anbieten.

Das ändert nichts daran, dass das Land autoritär regiert wird, korrupte Politiker mittels Religion und Terrorangst ihre Machtinteressen durchzusetzen suchen und die Menschenrechte in einem beklagenswerten Zustand sind. Das Land hinter dem Urlaubsprospekt ist trotzdem einen Blick wert.

Tipps und Informationen

Ausflug nach Velidhoo: Velidhoo kann man beispielsweise bei einem Ausflug von der Resort-Insel Sun Siyam Iru Fushi aus besuchen (thesunsiyam.com, Strandvilla im Frühbucherangebot ab 400 Euro pro Woche).

Unterkunft auf Velidhoo: Oder man urlaubt direkt auf Velidhoo, etwa in der Unterkunft "Palm Villa" (palmvilla-maldives.com, Doppelzimmer ab 60 Euro), Anreise von Malé mit der Nachtfähre oder per Inlandsflug nach Ifuru, dann weiter mit der Fähre.

Local islands: Weitere "local islands" erreicht man ebenfalls von Malé, Privatunterkünfte buchbar über Airbnb ab 23 Euro/Doppelzimmer

Die Teilnahme an der Reise wurde unterstützt von The Sun Siyam Iru Fushi und Condor. Unsere Standards der Transparenz und journalistischen Unabhängigkeit finden Sie unter axelspringer.de/unabhaengigkeit.

Quelle : welt.de

Tags:


Newsticker