Staatspräsident François Hollande verurteilte den neuen islamistischen Terrorakt. Er war sofort nach Saint-Étienne-du-Rouvray gereist und erklärte vor Ort, beide Täter hätten sich "zu Daech bekannt", wie die Terrormiliz Islamischer Staat in Frankreich bezeichnet wird. Wenig später verlautete aus Polizeikreisen, dass einer der Mörder den Geheimdiensten bekannt war. Später bestätigte dies ein Sprecher. Einer der Angreifer habe in einem laufenden Ermittlungsverfahren wegen Terrorverdachts unter Aufsicht der Justiz gestanden und eine elektronische Fußfessel getragen.
Nach zwei vereitelten Attentaten gegen Kirchen bei Paris im Frühjahr vergangenen Jahres ist damit zum ersten Mal in Frankreich wirklich ein Anschlag auf eine christliche Kirche verübt worden. Damit hat der Terror eine gefährliche neue, wenn auch lang angekündigte Dimension bekommen: Er richtet sich jetzt auch gezielt gegen Christen und Gläubige.
Einen Priester während einer Messe bestialisch zu ermorden, soll als Einladung zum Religionskrieg verstanden werden. Die Tat in einer kleinen Kirche aus dem 16. Jahrhundert, in einem unbekannten Vorort von Rouen, ist außerdem der Versuch, unter Beweis zu stellen, dass Gläubige nirgendwo sicher sind.
Frankreichs Außenminister Jean-Marc Ayrault sagte am Dienstag, es gebe darauf nur eine mögliche Reaktion: "Vereint bleiben. Diejenigen, die diese Attentate in Nizza und in den vergangenen Tagen in Deutschland begangenen haben", ergänzte Ayrault, "wollen unsere Gesellschaft spalten, unsere Demokratien, das Zusammenleben von Gläubigen und Nichtgläubigen, von Katholiken und Muslimen, von Laizisten und Gläubigen". Der ehemalige Premierminister Jean-Pierre Raffarin sagte, die Terroristen unternähmen offenkundig alles, "um einen Religionskrieg vom Zaun zu brechen".
Innere Einheit zeigt Risse
Der Terror mag in den vergangenen Tagen Deutschland erreicht haben, aber das war keine Verlagerung, sondern offenkundig nur eine Ausweitung der Kampfzone. In Frankreich ist durch die dauernden Angriffe der Stress mittlerweile so groß, dass die innere Einheit, welche die Gesellschaft nach den Attentaten des vergangenen Jahres auf so beeindruckende Weise demonstriert hatte, Risse zeigt.
Seit der Lastwagen-Attacke von Nizza, bei der 84 Menschen ums Leben kamen und mehr als 200 verletzt wurden, hat sich die Stimmung gewandelt. Nicht nur der rechtspopulistische Front National, auch Vertreter der konservativen Partei Les Républicains haben die Attentate instrumentalisiert und sind dabei, die Wegmarken für den kommenden Wahlkampf einzuschlagen.
Der national bekannte konservative Regionalpolitiker Christian Estrosi, Präsident der Region Provence-Alpes-Côte-d`Azur, hatte der Regierung noch in der Nacht vom 14. Juli vorgeworfen, für die Sicherheit der 30.000 Besucher des Feuerwerks in Nizza nicht ausreichend vorgesorgt zu haben.
Am vergangenen Sonntag setzte die für die Videoüberwachung zuständige Polizeichefin die unschöne Debatte fort, indem sie Innenminister Bernard Cazeneuve bezichtigte, Druck auf sie ausgeübt zu haben, die Aufnahmen zu löschen, um ein mögliches Versagen der Nationalpolizei zu vertuschen. In einem Interview mit der Zeitung "Journal du dimanche" sagte Sandra Bertin, sie sei eine Stunde lang von einem Mitarbeiter des Innenministeriums bedrängt worden: "Man ordnete an, bestimmte Positionen der Nationalpolizei zu Papier zu geben, die ich auf den Bildschirmen nicht gesehen habe." Auch der Aufforderung, sämtliche Aufnahmen der Überwachungskameras zu vernichten, die das Unglück gefilmt hatten, kam sie nicht nach. Inzwischen hat Innenminister Cazeneuve Anzeige wegen Verleumdung erstattet.
Mitgliederansturm auf den FN
Bei der politischen Instrumentalisierung tut sich nun aber vor allem Marine Le Pen, Parteichefin des FN, hervor. Unmittelbar nach Nizza forderte sie Cazeneuve auf, sein Amt niederzulegen: "In jedem anderen Land der Welt wäre ein Minister mit einer derartigen Bilanz, 250 Tote in 8 Monaten, längst zurückgetreten." Nach dem Mord an dem Priester am Dienstag twitterte Le Pen, die sich eigentlich eine "Medienpause" verordnet hatte: "Es ist die Verantwortung all derer, die uns seit 30 Jahren regieren. Sie weiter quatschen zu sehen ekelt mich an!"
Le Pen war die einzige französische Politikerin, die sich nicht auf die Großdemonstration nach der Attacke auf "Charlie Hebdo" im Januar vergangenen Jahres wagte. Sie schien mit ihrer Position des Antiislamismus politisch isoliert. Inzwischen sorgt das Klima der Angst dafür, dass mehr und mehr Franzosen das Gefühl haben, sie sei die Einzige, die eine Lösung anbiete.
Angeblich habe es nach dem Attentat in Nizza einen Mitgliederansturm auf den FN gegeben. Offizielle Zahlen werden allerdings nicht genannt, weil man das Attentat angeblich nicht instrumentalisieren wolle. Auf ihrer Website werben die französischen Rechtspopulisten neue Mitglieder mit dem Slogan "Gegen die Einwanderung gibt es nur eine Lösung: den Front National! Tretet bei!".
Scharfe Kritik an Merkel
Noch hat Le Pen nicht auf die Terroranschläge in Deutschland reagiert. Spätestens zur Aufnahme der politischen Geschäfte im September und dem Beginn des Vorwahlkampfs wird sie diese zweifellos für ihren politischen Meinungskampf einzusetzen wissen. Schließlich hatte sie seit der Flüchtlingskrise im vergangenen Sommer genau davor gewarnt, den Terror nach Deutschland und damit nach Europa zu importieren.
Ihr Parteivize Florian Philippot twitterte nach dem Attentat in Reutlingen: "Die massive Einwanderung ist dabei, weiter zu morden."
Seit Beginn der Flüchtlingskrise hat Le Pen die deutsche Kanzlerin als Förderin "illegaler Einwanderung" scharf kritisiert und als "Kaiserin" bezeichnet. Auf einer Rede vor Anhängern der flämischen Rechtspopulisten "Vlaams Belang" sagte sie, die Flüchtlinge würden schließlich nicht nach Europa kommen, "um vor Kriegen und Massakern zu fliehen, sondern um Sozialleistungen zu bekommen, eine Wohnung und Hilfen, die ihnen unwürdige Regierungen gewähren".
Nun kommt aus der Partei schon der Vorwurf hinzu, sie kämen auch, um zu morden.
Quelle : welt.de
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