Im hermetisch abgeriegelten Amtssitz von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu treffen wir dessen Minister für öffentliche Sicherheit, Gilad Erdan. Eingerahmt von zwei hohen Polizeioffizieren, schildert er uns in einem stickigen Besprechungszimmer im achten Stock die Lage. Zwischen Oktober 2015 und Mai 2016 haben Einzeltäter in Israel 190 Terrorangriffe verübt, darunter waren 110 Messerattacken. 30 Israelis wurden dabei getötet, 320 verletzt. 74 Angreifer wurden festgenommen, 98 erschossen.
"Drei Monate nachdem ich vor einem Jahr ernannt worden war, begannen am Tempelberg die Attacken", berichtet Gilad Erdan. "Die Täter benutzten einfache Waffen, sie holten sich ein Messer aus der Küche und zogen los."
Bis heute versetzen diese "einsamen Wölfe" Israels Bürger in Angst. Oft erfolgten die Angriffe spontan, sagt Netanjahus Sicherheitsminister, entsprechend schwer seien sie vorherzusehen. "Unser erster Schritt war es, die Cyberausrüstung der Polizei zu verstärken." Denn möglichen Attentätern komme man am ehesten auf die Spur, indem man die sozialen Netzwerke beobachte. Dort hetzten radikale islamistische Organisationen gegen Israel. Man habe im Blick, wer diese Websites besuche, wer welche Kommentare hinterlasse. Die sozialen Netzwerke seien die neuen Waffen dieser "Facebook-Intifada". Gilad Erdan verurteilt die Untätigkeit der internationalen IT-Unternehmen. "Sie nehmen ihre Verantwortung nicht wahr."
Also kümmert sich Israel selbst darum. Die Polizei speichert massenhaft Daten. Ständig durchforstet sie Facebook, Twitter und andere Netzwerke nach Hinweisen auf bevorstehende Taten. "Wir versuchen, immer einen Schritt voraus zu sein", sagt ein Polizeisprecher. Verdichtet sich der Eindruck, jemand könne gewalttätig werden, suchen Polizisten den Verdächtigen zu Hause auf, sprechen mit ihm und seinen Eltern. Vor allem arabische Israelis mit Beziehungen zur Hamas oder mit Verwandten im Gazastreifen sind im Visier der Fahnder. "Wir haben ein Auge auf diejenigen, von denen unserer Meinung nach ein hohes Risiko ausgeht", so der Sprecher.
In großem Umfang werden Telefonate abgehört. An besonders gefährdeten Orten wie der Jerusalemer Altstadt werden die Kennzeichen geparkter Autos abgeglichen, die Bilder der an jeder Kreuzung installierten Überwachungskameras werden 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche auf Monitoren überwacht. "Wir halten Ausschau nach bestimmten Personen", sagt der Polizeisprecher, "wir wissen, wer wo wohnt."
Mit den gleichen Methoden soll verhindert werden, dass internationale Terrororganisationen Nachwuchs rekrutieren. Ein Blick auf die Landkarte ist, von Israel aus betrachtet, tatsächlich furchterregend: im Norden die schiitische, vom Iran finanzierte und bewaffnete Hisbollah; im Osten die mit Al-Kaida verbundene Terrormiliz Dschabhat al-Nusra und der "Islamische Staat"; im Gazastreifen Hamas; im Süden, auf der Sinai-Halbinsel, IS-Kämpfer mit dem Traum vom Kalifat.
Mehr als 60 junge muslimische Israelis haben sich in Syrien und im Irak dem "Islamischen Staat" angeschlossen. Der IS hat versucht, auch in Israel Zellen zu gründen. "Wir haben das in einem sehr frühen Stadium entdeckt", berichtet ein führender Mitarbeiter des Inlandsgeheimdienstes Shin Bet. Ein "paar Dutzend" Verdächtige habe man "durch ein genaues Monitoring" des Internets ermittelt. "Wir achten auf die Sprache, die Terminologie, die Links, die Bilder; wir schauen auf die Verbindungen zwischen Individuen und Gruppen. Dadurch können wir eine Karte aktiver Unterstützer zeichnen." Einige Hundert IS-Sympathisanten habe der Geheimdienst so im Auge.
Shin Bet setzt auf Prävention. Das Gespräch mit möglichen Attentätern und mit Sympathisanten des Terrors spielt dabei eine zentrale Rolle. Der Geheimdienstmann erklärt, dass man ihnen klarmache: Wir beobachten dich, wir wissen alles über dich. "Die Gesprächssituation selbst sendet eine starke Botschaft aus. Das ist sehr wirkungsvoll!"
Die Furcht vor neuen Anschlägen haben die Sicherheitsbehörden den Israelis gleichwohl nicht nehmen können. Seit Gründung des Staates hat die Angst den Alltag begleitet. Mal war es ruhiger, mal besonders mörderisch, sicher war es nie.
Allerdings hat Israels Politik einen Anteil an seiner prekären Sicherheitslage. Mit seiner rücksichtslosen Besatzungs- und Siedlungspolitik hat es viele Palästinenser geradezu in die Arme der Terrorgruppen getrieben. Premier Netanjahu scheint sich längst von der Zwei-Staaten-Lösung verabschiedet zu haben. Amerikanische Vermittlungsbemühungen hat er ins Leere laufen lassen.
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