Der Ökonom als Freak-Forscher

  02 Auqust 2016    Gelesen: 880
Der Ökonom als Freak-Forscher
Sumo-Ringen, Fernsehshows und Teenager- Schwangerschaften: Immer mehr Ökonomen beschäftigen sich mit Randthemen. Eine fatale Entwicklung, schreibt unser Gastautor.
Spätestens seit der Finanzkrise ist eine intensive Diskussion in Wissenschaft und Öffentlichkeit über die Ökonomie als Wissenschaft entbrannt. Wohin steuert die Ökonomie, was können Ökonomen beitragen?, lauten die Fragen. In manchen Medien wird der Ökonomie zudem ein mangelnder Pluralismus vorgeworfen – aus meiner Sicht zu Unrecht. Die heute von Ökonomen benutzten Methoden sind, spätestens seit dem Aufkommen von experimenteller Wirtschaftsforschung, Verhaltensökonomik und Neuroökonomie, vielfältiger denn je.

Auch thematisch befassen sich Ökonomen längst nicht mehr nur mit streng ökonomischen Fragen, etwa welche Faktoren Inflation, Konjunktur, Arbeitslosigkeit, Wirtschaftswachstum, Finanzkrisen, Kartellbildung, Innovationen, Kaufentscheidungen oder andere Wirtschaftsphänomene beeinflussen und verursachen.

Vielmehr scheint heute alles zum Bereich der Ökonomie zu gehören, womit sich Ökonomen beschäftigen. „Economics is what economists do“ – so hatte es Jacob Viner schon vor mehr als achtzig Jahren ausgedrückt. Inzwischen wenden sich Ökonomen immer stärker Themen zu, die für Ökonomen durchaus als abseitig und esoterisch betrachtet werden können und traditionell eher der Soziologie, der Psychologie, der Medizin oder anderen Wissenschaften zugeordnet worden sind. Ursache dafür ist auch der steigende Druck beziehungsweise Anreiz zum Publizieren.

Der Euphemismus der sozialen Mathematik

Während die traditionellen Bereiche wie etwa Inflation, Arbeitslosigkeit et cetera abgegrast zu sein scheinen und es schwer ist, dort einen neuen Beitrag zum Erkenntnisfortschritt zu leisten, weil die Früchte der weiteren Erkenntnis sehr hoch hängen, erscheint dies bei abseitigen, weniger ausgeforschten Themen einfacher.

Der Trend zu Randthemen wird jedoch seit geraumer Zeit von prominenten wie weniger prominenten Ökonomen durchaus kritisch betrachtet. Einerseits wird das übertriebene Fokussieren auf quantitative Methoden bemängelt, wie etwa von Marc Blaug, der schon vor einigen Jahren ausführte: „Ökonomen haben das Fach in eine Art soziale Mathematik umgewandelt, wo die analytische Strenge alles und die Relevanz nichts zählt.“ Umgangssprachlich wird dieses Glasperlenspiel auch als „Mathturbation“ bezeichnet.

Andererseits ist es jedoch weniger die Methode, sondern mehr die Themenwahl, die im Fokus der Kritik steht. Einer der Pioniere der Analyse von Randthemen mit interessanten Datensätzen ist Steven Levitt, der Autor des unterhaltsamen Bestsellers „Freakonomics“.

„16 and Pregnant“

In der „American Economic Review“, der weltweit führenden Ökonomen-Fachzeitschrift, fanden sich in jüngerer Zeit Beiträge zu Fragen wie etwa, ob es im Sumoringen in Japan Anzeichen für Absprachen gibt (Antwort: Ja), wie sich Leute bei TV-Spielshows verhalten, wie Fußballspieler am besten einen Elfmeter schießen sollten, ob die Ausstrahlung der Fernsehserie „16 and Pregnant“ auf M-TV die Anzahl der Teenager-Schwangerschaften reduziert (Antwort: Ja), oder ob Menschen, deren Mütter während der Schwangerschaft einen nahen Verwandten verloren haben, etwa den Kindesvater, im späteren Leben häufiger psychisch krank sind als andere (Antwort: Ja).

Treiber all dieser Forschungsaufsätze ist nicht etwa, dass die Fragen aus ökonomischer Perspektive besonders relevant wären. Vielmehr gibt es in diesen Bereichen gute Daten, die eine methodisch raffinierte und umfassende empirische Analyse ermöglichen. Dies erinnert an den alten Witz vom Betrunkenen, der seine verlorenen Schlüssel unter der Laterne sucht, weil es dort besonders viel Licht gibt, der eigentlich aber weiß, dass der Schlüssel (zur Erkenntnis) ganz woanders (im Dunkeln) liegt.


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