Hart, härter, Handball-Oberliga

  03 Auqust 2016    Gelesen: 557
Hart, härter, Handball-Oberliga
Keine Geldprämien, stundenlange Fahrten zu Auswärtsspielen und Konditionstraining wie bei den Profis. Eine Saison in der Handball-Oberliga ist lang und hart. Eine raue, aber faire Welt, die Sportfans im Fernsehen nie zu sehen bekommen.
Die Trikots schweißnass, die Haare strähnig, die Beine müde. Nur Trainer Ferenc Remes lehnt entspannt an der Wand. "Die Verlierer tragen die Gewinner jetzt auf dem Rücken zum gegenüberliegenden Tor und zurück", befiehlt er den erschöpften Männern. Keiner der Handballer meckert in der Sporthalle in Berlin-Schöneberg. Sie schnaufen einmal durch, satteln den Mitspieler auf und rennen los. Willkommen in der Welt der Oberliga Ostsee-Spree, einer der vielen von Medien kaum beachteten 4. Handball-Ligen Deutschlands, wo 14 Mannschaften aus Berlin, Brandenburg und Mecklenburg Vorpommern um die Punkte kämpfen.

Leiden auf hohem Niveau. Leidenschaft auf noch höherem Niveau. Keiner der Männer im Alter von 18 bis 28 Jahren denkt auch nur einen Moment ans Aufgeben. Jeder einzelne Spieler der 1. Mannschaft der Spielgemeinschaft (SG) OSF Berlin will Trainer Remes beweisen, dass er will und noch kann. Die neue Saison steht kurz bevor. Anfang September wird angepfiffen. Das Team aus Berlin-Schöneberg hat in der vergangenen Saison den dritten Platz belegt. Es war die beste Leistung der Vereinsgeschichte.

Das Team ist bunt gemischt

Seit dem Frühsommer trainieren die Handballer bis zu vier Mal die Woche – Ausdauer, Koordination, Krafttraining mit elastischen Gummis und natürlich Taktik. "Meine Jungs sind verrückt", sagt Remes lächelnd. "Das meine ich ganz positiv. Die wollen einfach vorankommen und dafür müssen wir hart arbeiten", betont der gebürtige Ungar mit freundlicher Stimme. Bei Handball-Matches wird auch mal härter zugepackt – Prellungen, blaue Flecken oder verstauchte Finger gehören dazu. Deshalb will SG-OSF-Trainer Remes, dass sein ganzer Kader fit ist, denn eine Handball-Saison mit Liga- und Pokal-Spielen kann verdammt lang sein.

Die SG OSF Berlin ist nach dem Handball-Bundesliga-Team "Füchse Berlin" die zweite Kraft in der Hauptstadt. Aber zwischen den Mannschaften liegen Welten. Das Amateur-Team aus dem Südwesten der Stadt besteht nicht aus gut dotierten Profis sondern aus Studenten, Schülern und Angestellten. Spieler bekommen keine Antrittsprämien und auch der Vereinsbetrieb wird nur durch Ehrenamtliche mit viel Herzblut am Laufen gehalten.

Sponsoren sind in der Oberliga Mangelware

Schon die Sponsorensuche gestaltet sich jede Saison mühselig. Die Konkurrenz um Geldgeber ist in der Hauptstadt enorm. Erstliga-Clubs, wo man hinschaut: Neben den Handball-Füchsen gibt es den Fußball-Club Hertha BSC Berlin, die Volleyballer der Berlin Volleys, die Basketballer von Alba Berlin oder Eishockey-Profis der Eisbären. Dagegen fällt es manchem Kleinstadt-Verein in Brandenburg leichter, Sponsoren zu begeistern. Dort stehen mittelständische Unternehmen oft parat, die örtliche Handball-Teams auch in der Oberliga finanziell unterstützen. Bis Anfang August war kein Groß-Sponsor für die 1. Männer Mannschaft gefunden worden.

"Da müssen wir eben eigene Weg gehen", sagt Max Gehann, Vorstand der SG OSF Berlin, unbeeindruckt. "Unsere Stärke sind unsere Trainer und Talente", betont er. Viele Leistungsträger der Männer- und Frauen-Mannschaften spielen schon seit E-Jugendzeiten bei dem Verein, der bereits mehrfach für seine vorbildliche Jugendarbeit ausgezeichnet wurde. "Ambitionierter Amateursport mit familiärer Bindung", lautet das Motto der SG OSF Berlin.

161 Tore in der vergangenen Saison

Wie das Motto gelebt wird, kann man in einer Sporthalle mit 80er-Jahre-Charme beobachten. Hier trainiert die 1. Frauen-Mannschaft der SG OSF - eine sportbegeisterte Truppe aus Studentinnen, Angestellten und Ärztinnen zwischen 18 Jahren und Mitte 30. Eine von ihnen ist Katrin Hinz. Die Rückraumspielerin warf in der vergangenen Saison in 22 Spielen 161 Tore – also im Durchschnitt sieben Tore in jeder Begegnung. Keine andere Spielerin in der Oberliga Ostsee-Spree war derart torgefährlich. Auch die 31jährige "Katy" Hinz steht für die Verbundenheit: Schon mit fünf Jahren rannte die Torjägerin in kurzen Hosen für die SG OSF von Tor zu Tor.

Krafttraining, zahllose Sprints und an 22 Wochenenden im Jahr ein Spiel, mal ganz abgesehen von den Verpflichtungen, die Familie und Karriere mit sich bringen. Warum tut man sich das an? "Ich habe einfach Freude daran, Handball zu spielen – mit genau diesen Mädels hier", sagt eine und deutet auf ihre Mitspielerinnen, die sich gerade Bälle quer durch die Halle zuwerfen.

"Handballverrückt" mit über 70 Jahren

"Was mir an den Damen besonders gut gefällt, ist der Zusammenhalt. Die zicken sich nicht an, viele sind sogar miteinander befreundet", erzählt Dieter Holk, der seit 22 Jahren die 1. Frauen-Mannschaft betreut. Schlank, mit grauen Haaren und freundlichem Blick ist Holk ein Ehrenamtlicher, wie er jedem Vereinspräsidenten gefallen würde. 22 Jahre lang war Holk an Wochenenden immer mit den Handballspielerinnen unterwegs, verwaltete die Spielerpässe, kümmerte sich um Sponsoren oder spendete Trost nach unglücklichen Niederlagen. "Super waren immer die gemeinsamen Busfahrten durch den Nordosten Deutschlands und die Trainingslager. Und nach einigen Auswärtssiegen sind wir auf dem Rückweg von der Autobahn gefahren und haben zur Feier des Tages eine Burger-Party bei McDonald’s gemacht. Beim Feiern waren wir immer vorne dabei!", erinnert sich Holk und lacht.

Wenn im September die neue Saison der Oberliga Ostsee-Spree beginnt, wird Teambetreuer Holk nicht mehr mitfahren. Mit über 70 Jahren hört er nun auf. Ein Nachfolger ist gefunden. Dass Holk in den Handball-Ruhestand geht, ist allerdings kaum vorstellbar. Er wird seine Mannschaft bei Heimspielen bestimmt weiter anfeuern. Denn Dieter Holk ist "handballverrückt" - wie fast alle im Südwesten der Hauptstadt bei der SG OSF Berlin.


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