Das Phantom von Ansbach

  05 Auqust 2016    Gelesen: 768
Das Phantom von Ansbach
War der Attentäter Mohammad D. ein erfahrener IS-Kämpfer? Oder ein verzweifelter Kranker? Eine Spurensuche in Deutschland, Bulgarien und Syrien.
Eine Woche nach dem Anschlag von Ansbach steht Manuela Schiffer* in einer Seitenstraße des bayerischen Städtchens und sucht nach einer Antwort, die es noch nicht gibt. Sie hat in den vergangenen Tagen selten das Haus verlassen, kaum Freunde getroffen und wenn Fernsehsender anriefen, ist sie nicht ans Telefon gegangen. Schiffer, Ende 40, wollte erst mal nachdenken. Über den Anschlag, der ihr keine Ruhe lässt. Und über den Mann, der sie fast getötet hätte.

Schiffer, eine fröhliche Frau mit wachen Augen, hat den Sonntagabend des 24. Juli mit Prellungen an Armen und Beinen überstanden. Sie war eine der Letzten, die den Mann mit der Bombe lebend gesehen haben. Als er um kurz nach zehn Uhr mit einem großen Rucksack vor dem Eingang des Musikfestivals Ansbach Open herumschlich, saß sie wenige Meter entfernt auf der Terrasse von Eugens Weinstube. Als er die Bombe zündete, hörte sie den lauten Knall und spürte Metallteile gegen ihre Jacke und ihren Körper prallen. Die Polizei brachte sie aus dem Lokal ins Krankenhaus, vorbei an der Leiche des Attentäters. Der Tote lag mit dem Rücken auf dem Asphalt, daneben stand der Rucksack mit der Bombe, die nicht richtig gezündet hatte. Schiffer dachte: "Wie jung der noch ist!"

Später fragte sie sich: Wer war dieser junge Mann auf dem Asphalt? Und was hat ihn so kaputt gemacht?

Es sind Fragen, auf die gerade viele eine Antwort suchen. Mohammad D., der Rucksackbomber von Ansbach, laut Polizeiakte geboren in Aleppo in Syrien, bei seinem Tod 27 Jahre alt und seit zwei Jahren als Flüchtling in Ansbach, beschäftigt inzwischen auch den Generalbundesanwalt.

Denn der sogenannte "Islamische Staat" behauptet: D. sei ein erfahrener Kämpfer gewesen, seit Jahren Mitglied der Terrorgruppe, ein "Soldat" des IS, der mit dem Plan nach Deutschland reiste, einen Anschlag zu verüben, und seine Rolle als Schutzbedürftiger nur vorspielte. So verbreitete es die Terrororganisation kurz nach dem Attentat in einem Propagandablatt.

Dem widersprechen D.s Therapeuten: Ihr Patient sei psychisch krank gewesen, selbstmordgefährdet und verzweifelt, weil er aus Deutschland abgeschoben werden sollte. Ein Depressiver, der seinen Selbstmord womöglich öffentlich inszenieren und der Tat anschließend mit der Widmung an den "Islamischen Staat" eine höhere Bedeutung verleihen wollte.

Was davon stimmt?

Am Tatort, einer kleinen Weinstube mit Holztischen und weißen Sonnenschirmen, liegen Blumen. Eine Nachbarin hat das Gemälde einer Friedenstaube aufgehängt. Auf einem selbst gemalten Schild steht: "Unseren Hass bekommt ihr nicht." Mehr Hass – davor fürchten sich jetzt viele der 40.000 Ansbacher. In einem Restaurant in der Innenstadt sitzt ein Flüchtlingshelfer, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Aus Angst vor Rechtsradikalen, die jetzt Flüchtlingshelfer "auf dem Kieker" hätten. Nach dem Anschlag waren "Ausländer Raus"-Rufe durch die Innenstadt von Ansbach gehallt. "Wir fragen uns natürlich auch, ob wir das hätten verhindern können", sagt der Flüchtlingshelfer. Dafür aber müsse man erst mal wissen, wer der Täter war.

Reporter von ZEIT ONLINE haben zahlreiche Unterlagen über Mohammad D. gesichtet und mit Helfern, Opfern, Anwälten und Psychologen gesprochen. Die Dokumente und Erinnerungen fügen sich nur schwer zu einem schlüssigen Bild zusammen. D. erscheint darin als junger Mann, der andere täuschte und seine Fluchtgeschichte verfälschte. Ein labiler Mensch, der schon als Teenager in Syrien psychisch auffällig und gewalttätig war.

Ein Therapeut schreibt über ihn: "ausgeprochen zweigesichtig"

Als Axel von Maltitz in seinem Therapeutenzimmer in der Nähe des Bodensees das erste Mal auf Mohammad D. trifft, sitzt ihm ein augenscheinlich verzweifelter Mensch gegenüber. Der Heilpraktiker betreibt mit seiner Frau in Lindau ein psychotherapeutisches Behandlungszentrum für traumatisierte Flüchtlinge. Exilio nennt sich die Einrichtung, bei der Mohammad D. Ende Januar 2015 erstmals Hilfe sucht. Der Syrer lebt zu dieser Zeit ein halbes Jahr in Deutschland und fürchtet seine Abschiebung. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) hat ihm kurz zuvor geschrieben: Sein Asylantrag werde nicht genehmigt, er müsse zurück nach Bulgarien. Der Nürnberger Rechtsanwalt Hermann Gimpl, ein Fachmann für Asylrecht, klagt im Auftrag von D. gegen die Entscheidung. Zunächst legt der Jurist eine ärztliche Bescheinigung vor, die D. eine schwere Knieverletzung attestiert. Später reicht er psychologische Gutachten nach.

D. hatte damals in Ansbach offenbar schon zwei Suizidversuche unternommen. Einmal ritzte er sich in die Arme, einmal drohte er, sich vor der Ausländerbehörde mit Benzin zu übergießen. Seit Januar 2015 war er in der Psychiatrie des Bezirksklinikums untergebracht, anschließend sieben Monate bei Exilio in Lindau in Therapie. Er fuhr von Ansbach aus mit dem Regionalzug an den Bodensee, blieb für eine Woche in einer kleinen Wohnung unweit der Praxis, die das Ehepaar Maltitz angemietet hatte, radelte auf dem Fahrrad um den See. Tagsüber ging er zur Therapie, insgesamt waren es 40 Stunden.

Das erste Gespräch des Therapeuten Axel von Maltitz mit dem Flüchtling in Lindau im Januar 2015 dauert 90 Minuten. Danach verfasst Maltitz ein 25 Seiten langes Gutachten. Der Therapeut kommt darin zu einem erstaunlich klaren Urteil: D. leide wegen seiner Foltererfahrungen unter einer schweren posttraumatischen Belastungsstörung. Er sei zudem ein "extremer Geist", dem es durchaus zuzutrauen sei, dass er seinen Suizid "noch spektakulär in Szene" setze. D. wirke "ausgesprochen zweigesichtig". Meist sei er höflich und beredt, doch wenn er über seine Traumata spreche, wirke sein Gesicht "blutleer". Maltitz führt das auf D.s Erlebnisse in Syrien zurück. Von einer Abschiebung nach Bulgarien rät der Therapeut dringend ab.


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