Für jenen Tag hatte die syrische Opposition den "Freitag des Internationalen Schutzes" ausgerufen. Landesweit gingen damals Hunderttausende Menschen auf die Straßen. Sie forderten unter anderem, ständige Uno-Beobachter in das Land zu entsenden. Teile der Protestbewegung gingen schon damals soweit, eine Flugverbotszone für die syrische Luftwaffe durchzusetzen.
Damals war der Aufstand ein halbes Jahr alt. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Schüsse von Assads Sicherheitskräften auf Demonstranten und erste Gegenangriffe bewaffneter Regimegegner rund 2200 Menschenleben gekostet. Fünf Jahre später haben es die Vereinten Nationen längst aufgegeben, die Zahl der Toten in Syrien zu zählen - laut Schätzungen sind es wohl weit mehr als 400.000.
Angst vor dem zweiten Libyen
Eine Intervention des Westens gibt keine Garantie für Stabilität und die demokratische Entwicklung eines Landes, das zeigt das Beispiel Libyens. Das Land ist nach dem Eingreifen der Nato in einem Bürgerkrieg versunken, in dem rivalisierende Milizen um die Macht kämpfen. Doch in Syrien ist die Lage heute katastrophaler, als sie eine Militärintervention der USA und ihrer Verbündeten jemals hätte machen können.
Der Sommer 2011, in dem Diktator Baschar al-Assad in Daraa, Homs und Hama die ersten Großdemonstrationen niederschießen ließ, war nur der erste von mehreren Momenten, in denen der Westen eine Gelegenheit zur Intervention verstreichen ließ.
Ende 2011 ließ Assad eine Beobachtermission der Arabischen Liga ins Land. Der Diktator hatte den Rückzug seiner Truppen aus den Städten und die Freilassung aller politischen Gefangenen versprochen. Die Beobachter sollten den Prozess überwachen und durch ihre Präsenz zudem sicherstellen, dass die Armee nicht länger auf Demonstranten feuert. Assad hielt die Delegation zum Narren: Seine Truppen schossen weiterhin mit scharfer Munition auf unbewaffnete Regimegegner, nach wenigen Wochen stoppte die Arabische Liga die Mission. Konsequenzen für Assad: Fehlanzeige.
US-Präsident Barack Obama ließ Assad gewähren, zog aber im August 2012 eine klare "rote Linie". Sollte das Regime in Damaskus biologische oder chemische Waffen einsetzen, würden die USA mit einer Militäraktion antworten, sagte der US-Präsident in Washington.
Genau ein Jahr später stellte Assad Obama auf die Probe: Am 21. August 2013 schlugen mehrere mit Sarin gefüllte Boden-Boden-Raketen in Vororten von Damaskus ein, die von Rebellen kontrolliert wurden. Mehr als tausend Zivilisten kamen ums Leben. Die syrische Regierung hinderte Uno-Ermittler zunächst daran, die angegriffenen Orte zu besuchen. Dann verhinderten Russland und China im Uno-Sicherheitsrat, dass die Ermittler in ihrem Bericht Aussagen zu den Verantwortlichen treffen durften. Experten kamen jedoch nach Rekonstruktion der Raketenflugbahnen zu dem Schluss, dass die Raketen aus einem Gebiet abgefeuert wurden, das vom Regime kontrolliert wurde.
Wenige Tage nach dem Angriff kündigte Obama Militärschläge gegen das syrische Regime an, schloss aber den Einsatz von Bodentruppen aus. Er habe sich bereits zum Einsatz militärischer Gewalt entschieden, sagte der US-Präsident. Wenige Tage später kam alles anders: Syriens Regime räumte erstmals den Besitz chemischer Waffen offiziell ein. Russland vermittelte einen Deal: Assad verschrottet seine C-Waffenbestände, im Gegenzug verzichten die USA und ihre Verbündeten auf die angekündigte Intervention. Obamas rote Linie - einfach weggewischt.
Spätestens jetzt war Assad klar, dass ihn der Westen nicht gewaltsam aus dem Amt drängen wird, egal welche Verbrechen er an seinem eigenen Volk verübt.
Daran änderten auch die Enthüllungen des ehemaligen Militärfotografen "Caesar" nichts. Er hatte zwischen 2011 und 2013 Tausende Aufnahmen von Syrern gemacht, die in den Folterkerkern des Assad-Regimes gestorben sind. Dann setzte er sich ins Ausland ab, legte seine Aufnahmen dem US-Kongress und dem Uno-Sicherheitsrat vor. Wieder blockierten Russland und China eine Resolution gegen die syrische Regierung und eine Anklage vor dem Internationalen Strafgerichtshof.
Seit September 2015 beschränkt sich Putins Hilfe für Assad nicht mehr nur auf diplomatische Unterstützung. Russische Bomber und Spezialkräfte kämpfen Seite an Seite mit syrischen Truppen gegen Aufständische. Offiziell richtet sich der Einsatz gegen islamistische Terroristen, tatsächlich nehmen Moskaus Truppen aber sämtliche Gegner des syrischen Diktators unter Beschuss. Weder Schulen noch Krankenhäuser sind vor den Bomben und Raketen sicher.
Die russische Intervention hat die humanitäre Lage in den von den Aufständischen kontrollierten Gebieten Syriens noch einmal deutlich verschlimmert. Das Eingreifen hat unter anderem dazu geführt, dass Hunderttausende Syrer im Osten Aleppos von Regimetruppen eingekesselt wurden. Auf ein militärisches Eingreifen des Westens dürfen sie auch diesmal nicht hoffen.
Quelle:spiegel
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