„Nach den Spielen geht alles wieder abwärts“ – Augenzeugenbericht aus Rio

  12 Auqust 2016    Gelesen: 273
„Nach den Spielen geht alles wieder abwärts“ – Augenzeugenbericht aus Rio
Die Olympischen Spiele 2016 sollten Rio de Janeiro helfen, die Probleme der Stadt zu lösen. Viele Bürger von Rio befürchten, dass sich nach Olympia wieder alles zum alten wandeln wird, sagt Viktor Coco, freier Journalist und Brasilienexperte, der sich gerade in Rio befindet.
Die Ankündigung von Rios Bürgermeister Eduardo Paes, die Kriminalität zur Olympia zu senken, scheint ihm grundsätzlich gelungen zu sein, wie Coco erläutert. Es stellt sich nur die Frage, wer davon profitiert:
„Vor allem die olympische Familie fühlt sich einigermaßen sicher, weil an den ganzen Zufahrtswegen zu den Veranstaltungsorten bereits im Vorfeld der Olympiade eine sehr starke Militärpräsenz zu spüren war. Besonders an den großen Straßen steht überall bewaffnetes Personal und das Gefühl einer sicheren Stadt ist auf jeden Fall gegeben. Wie das in den Favelas aussieht, wo die große Masse der Bevölkerung lebt, das ist natürlich eine ganz andere Frage. Es kann sein, dass da Personal abgezogen wurde und da ist es schlimmer als sonst.“

Brasilien befindet sich in einer Krise, ebenso der Bundesstaat Rio de Janeiro. Laut Viktor Coco mussten für offene Polizeigehälter Gelder frei gemacht werden, die nun andernorts fehlen:
„Ob in Zukunft neben der starken Polizeipräsenz auch Sozialprogramme verbessert werden, ist schwer zu beantworten. Die Befürchtung besteht jedenfalls, dass es nach den Spielen wieder abwärts geht.“

2012 war das friedlichste Jahr in Rio seit langem. Seitdem hat die Kriminalität allerdings, gerade im letzten Jahr, wieder extrem zugenommen — In den ersten fünf Monaten des Jahres 2016 starben 1870 Menschen in Rio durch Gewalteinwirkung. Als Grund dafür sieht Coco verschiedene Faktoren:
„Einerseits ist die Polizei mit all ihren Sondereinheiten in Rio de Janeiro besonders aggressiv. Da wird meist erst geschossen und dann nachgefragt, was überhaupt passiert ist. Gleichzeitig ist die Kriminalität angestiegen, allein durch die Wirtschaftskrise. In der Gesellschaft ist der wirtschaftliche Druck von unten sehr zu spüren. Die Löhne steigen nicht mehr, gleichzeitig gehen die Preise durch die Inflation nach oben. Die wirtschaftliche Lage in Brasilien ist eine ganz andere, als vor vier Jahren. Und sowas wirkt sich dann auch auf den Anstieg der Kriminalität aus. Im Vorfeld von Olympia wurde auch nochmal bewusst eine sehr aggressive Haltung des Staates gegenüber dem Volk ausgeübt, unter anderem um Kriminelle einzuschüchtern und der olympischen Familie und den Touristen Sicherheit zu bieten.“

Die angestiegene Zahl von Gewaltverbrechen ist also auch eine Gegenreaktion auf die aggressive Politik der Sicherheitsbehörden in Rio. 2008 wurden die ersten Einheiten der Unidade de Polícia Pacificadora (Befriedende Polizeieinheit)in den Favelas aufgestellt. Dies wurde, so Coco, von der Bevölkerung auch positiv aufgenommen. Wenn es aber keine Verbesserung in der Sozialpolitik gebe, dann verliert man natürlich das Vertrauen in solche Einrichtungen:
„Es gibt Favelas, die im Vergleich zur Fußball WM 2014 wieder gefährlicher geworden sind. Die Drogenbosse haben aufgrund der schwachen Polizeipräsenz die Chance genutzt, sich die Favelas wieder zurückzuerobern.“

Bürgermeister Paes schwärmte im Vorfeld von Olympia von erstmals installierter Wasser- und Abwasserversorgung in manchen Favelas und davon, dass die neue Infrastruktur angeblich "vor allem den Armen nutzt, die auf öffentliche Verkehrsmittel angewiesen sind". Victor Coco sieht das anders:
„Es gibt definitiv eine verbesserte Infrastruktur wie eine neue U-Bahnlinie oder Buslinie, aber das ist in meiner Wahrnehmung komplett auf Olympia ausgerichtet. Die neue U-Bahnlinie ist nach den Spielen für die brasilianische Bevölkerung gesperrt. Dabei gibt es Gegenden in dieser Stadt, wo es viel wichtige wäre, die Infrastruktur zu verbessern.“

Die Olympischen Spiele 2016 werden vom 05. bis zum 21. August in der brasilianischen Stadt Rio de Janeiro abgehalten. Sie sollten eine Chance für Rio de Janeiro werden. Bis jetzt sieht es aber nicht danach aus. Die Gewalt ist seit langem wieder auf Höchststand und viele Gelder versacken durch Korruption im Sande. Die Bevölkerung von Rio hat nicht viel von der neuen Infrastruktur, die fast ausnahmslos auf Olympia ausgerichtet ist und von der nur eine reiche Minderheit profitiert.

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