22:38 Uhr war es in Rio, als Bolt nach einem Regenguss auf der nassen Bahn in den Endlauf über 200 Meter ging. Zum ersten mal spielte er nicht lässig seine Überlegenheit aus, sondern arbeitete mit verzerrtem Gesicht und heftigem Einsatz des Oberkörpers. Bolt jagte dem Weltrekord nach, den er selbst, bei der Weltmeisterschaft 2009 in Berlin, auf unerreichbare 19,19 Sekunden gedrückt hatte. Nach 19,78 Sekunden war Bolt im Ziel – genau der gleichen Zeit, die er am Vorabend, im Halbfinale, mit halber Kraft erreicht hatte.
Mit Blick auf die Uhr am Zielstrich begann Bolt zu schimpfen, riss verärgert dem Aufkleber mit seiner Startnummer von seiner Hose und schmetterte ihn auf die Bahn. Er brauchte ein paar Sekunden, bis er sich über den Olympiasieg freuen konnte. „Number one!“, rief er, grimassierend, in die erste Fernsehkamera, die er erreichte.
Verlust für die Leichtathletik
Mindestens genauso glücklich wie Bolt war der Franzose Christophe Lemaitre. Er ist als der schnellste 200-Meter-Läufer Europas zurückgekehrt. Auf der Geraden, auf den zweiten hundert Meter, lief er von hinten vor auf Platz drei (20,12 Sekunden) hinter dem frechen Kanadier Andre de Grasse (20,02), der schon im Halbfinale Bolt herausgefordert und damit zum Lachen gebracht hatte. Zeitgleich mit Lemaitre wurde der Brite Adam Gemili Vierter, eine Hunderstelsekunde später war Churandy Martina (Niederlande) im Ziel. Lashawn Merritt wurde in 20,19 Sekunden Sechster.
„One Love“ von Bob Marley spielte die Stadionregie zur Ehrenrunde von Bolt, und wenn das Publikum nicht mitsang, skandierte es den Namen des Helden der Leichtathletik-Wettbewerbe dieser Spiele. Bolt bedankte sich, indem er jedem einzelnen Zuschauer signalisieren zu wollen schien, wie sehr er sich über dessen Kommen freute. Allein zu seinen Rennen war das abgelegene Fußballstadion, in dem die Leichtathletik-Wettbewerbe stattfinden, fast gefüllt. Seit er in Rio eingetroffen ist, versichert Bolt in jedem Interview, wie gut ihm das Land und vor allem dessen Bewohner gefallen.
Nach dem obligatorischen Stopp am jamaikanischen Block auf der Zielgeraden mit Umarmungen und Erinnerungsfotos, fiel Bolt auf der blauen Bahn auf Höhe des Ziels auf die Knie und küsste den Boden. Die brasilianischen Zuschauer schrien sich heiser vor Begeisterung, und Bolt schien sich selbst zu verzeihen, dass er den Weltrekord auf der langen Sprintstrecke nicht verbessert, geschweige denn unter 19 Sekunden gedrückt hatte. Dies sei sein Ziel, hatte er immer wieder angekündigt. Nicht nur Bolt könnte die Zeit davonlaufen auf dem Weg zum Ende seiner Karriere bei der Weltmeisterschaft 2017 in London. Auch die Leichtathletik und Olympia dürften zu spüren bekommen, wenn ihr Vortänzer Bolt nicht mehr die Leute in Scharen ins Stadion lockt.
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