Streit mit Lieferanten legt Schwäche von Volkswagen offen

  24 Auqust 2016    Gelesen: 1572
Streit mit Lieferanten legt Schwäche von Volkswagen offen
Der Streit mit den Lieferanten hat gezeigt, dass große Konzerne in der Krise auch von kleinen Lieferanten gewaltig unter Druck gesetzt werden können. Die Eskalation hatte allerdings Endspiel-Charakter und kennt am Ende keine Sieger.
Jan Schwartz hat für Reuters eine interessante Analyse zur Lage von Volkswagen nach der Konflikt mit den Lieferanten geschrieben:

Volkswagen hat den Machtkampf mit zwei Lieferanten beigelegt und damit größeren wirtschaftlichen Schaden abgewendet. Nach einem 20-stündigen Verhandlungsmarathon einigte sich der Wolfsburger Autobauer am Dienstag mit den Firmen der Prevent-Gruppe auf ein Ende des Lieferstreiks, der zu Produktionsausfällen in mehreren VW-Werken geführt hat. „Der Lieferstopp wird ab sofort aufgehoben“, sagte ein Prevent-Sprecher. Die betroffenen Standorte bereiteten nun schrittweise die Wiederaufnahme der Produktion vor, teilte VW mit. Damit ist die drohende Kurzarbeit für fast 30.000 Mitarbeiter in sechs VW-Werken abgewendet.

Die finanziellen Details des Friedensschlusses blieben allerdings unklar. Aus dem Umfeld der Prevent-Gruppe, zu der die beiden Lieferanten Car Trim und ES Automobilguss gehören, hieß es, man habe sich auf eine langfristige Partnerschaft mit VW verständigt. VW äußerte sich dazu nicht. Experten sehen darin einen Hinweis, dass Prevent zumindest Teile seiner Forderungen durchsetzen konnte. Der Ausgang des Streits zeigt nach Meinung von Autoprofessor Ferdinand Dudenhöffer exemplarisch, dass sich die Machtverhältnisse in der Automobilindustrie verändern. „Die vermeintlichen Zwerge könnten die Gullivers der Autobranche in Nöte bringen.“ Das gibt den Zulieferern Hoffnung, dass sie dem Spardiktat aus Wolfsburg nicht völlig ausgeliefert sind. Die Wolfsburger haben ihrer ertragsschwachen Hauptmarke VW, die unter anderem vom Skandal um manipulierte Diesel-Abgaswerte belastet wird, einen Sparkurs verordnet. Dabei werden von Lieferanten Zugeständnissen gefordert. „Unsere Zulieferer haben mit großer Erleichterung auf die Einigung reagiert“, erklärte der Arbeitgeberverband Niedersachsen-Metall. „Es ist wichtig, dass sich die Partnerschaft an einem fairen Ausgleich orientiert und keine Seite überfordert wird.“

Mit dem Lieferstopp von Sitzbezügen und Getriebegehäusen traf die Prevent-Gruppe, hinter der die bosnische Industriellenfamilie Hastor steht, einen Nerv des Wolfsburger Autobauers. Als Folge musste die Produktion des wichtigen Kompaktmodells Golf im Stammwerk Wolfsburg und im sächsischen Zwickau ruhen. Im Passat-Werk Emden gingen bereits vergangene Woche 7500 Mitarbeiter in Kurzarbeit. Insgesamt bereitete VW Kurzarbeit für 28.000 Beschäftigte in sechs Werken vor. Diese Folgen des Streits lösten eine politische Debatte über das Kurzarbeitergeld aus, das von der Agentur für Arbeit gezahlt wird. „Kurzarbeitergeld darf nicht als Finanzierungsinstrument bei wirtschaftlichen Machtspielen zwischen Unternehmen missbraucht werden“, forderte der arbeitsmarktpolitische Sprecher der Union, Karl Schiewerling. „Zwei streiten sich und die Folgen tragen Dritte – das geht nicht.“

Anlass für den Streit mit den beiden Lieferanten aus Sachsen war nach Angaben aus dem Umfeld von Prevent ein von VW gekündigter Auftrag zur Entwicklung neuartiger Sitzbezüge. Für bereits erbrachte Investitionen und Vorleistungen forderte Car Trim 56 Millionen Euro Entschädigung, was VW ablehnte. Daraufhin stellte Car Trim die Lieferung von Sitzbezügen ein. Um den Druck zu erhöhen, setzte die Prevent-Tochter ES Automobilguss die Lieferung von Getriebegehäusen aus. Der Vorgang ist einmalig in der Automobilindustrie, wo derartige Konflikte meist hinter den Kulissen ausgetragen werden und Lieferanten eher zu Kompromissen bereit sind, um ihre Geschäftsbeziehungen zu Herstellern in der harten Konkurrenz nicht zu gefährden. VW ließ erkennen, dass man den Konflikt auch deshalb eskalieren ließ, weil Prevent sich an bestimmte Regeln nicht hielt. „Wir hätten das ganze Theater nicht gemacht, wenn es nicht um Dinge gegangen wären, die über das gute Miteinander hinaus gingen“, sagte eine Person mit Kenntnis der Beratungen.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) warnte, das Vorgehen der Lieferanten dürfe keine Schule machen. „Es bleibt bei mir ein Unbehagen über das Vorgehen der Prevent Group.“ Statt einer Klärung vor Gericht habe sie einen Großkonflikt mit beträchtlichen Schäden eröffnet. Weil sitzt im Aufsichtsrat von Volkswagen, weil das Land mit 20 Prozent zweitgrößter VW-Aktionär ist. VW hatte vor Gericht eine Einstweilige Verfügung gegen Car Trim durchgesetzt, an die hielt sich die Firma jedoch nicht.

Die Börse feierte das Ende des Streits, der nach Meinung von Experten VW teuer zu stehen gekommen wäre, wenn er länger gedauert hätte. Mit einem Kursaufschlag von 2,5 Prozent war die VW-Aktie zweitweise der größte Gewinner im Dax.

Unter den Produktionsausfällen bei VW litten auch andere Zulieferer, weil sie ihre Teile nicht ausliefern konnten und Bestände aufbauen mussten. „Die Folgewirkungen für die gesamte Wertschöpfungskette sind schon heute beträchtlich“, sagte Christoph Feldmann, Hauptgeschäftsführer des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME). Allein bei der Produktion des wichtigsten VW-Modells Golf seien rund 500 Lieferanten beteiligt. Entsprechend erleichtert reagierte der Verband auf die Einigung. Nach dem Kompromiss können nun auch die Lieferungen anderer Firmen wieder anlaufen.

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