Mehr ist es bislang allerdings nicht, denn ob das Abkommen angenommen und erfüllt wird, ist offen. Das Ende der Friedensverhandlungen markiert den Beginn eines langen, komplizierten Prozesses, der auch scheitern kann.
Die nächsten Schritte im Friedensprozess
Vier Jahre lang haben Vertreter der Farc und der Regierung auf Kuba verhandelt, Fidel Castro und der Papst sekundierten. Voraussichtlich in drei Wochen werden Präsident Juan Manuel Santos und die Anführer der Farc den Friedensvertrag in Kolumbien unterzeichnen. Zuvor muss der Präsident das Dokument dem Kongress vorlegen. Anschließend werden die Kolumbianer per Volksabstimmung entscheiden, ob sie das Abkommen annehmen. Der Ausgang ist ungewiss - im Ausland ist die Euphorie über den Friedensschluss weitaus größer als in Kolumbien selbst. Mehrere Umfragen in den vergangenen Wochen sagten einen Sieg des "No"-Lagers voraus.
Es gibt mehrere Gründe, warum der Friedensprozess skeptisch beäugt wird:
Viele Kolumbianer misstrauen der Farc. Die Bürger haben zu viele Friedensprozesse scheitern sehen, jedes Mal ist die Gewalt im Land neu aufgeflammt. Sie fürchten, dass sich ein Teil der Rebellen zu bewaffneten Banden zusammenschließt. Die meisten der rund 8000 Kämpfer verfügen über keine berufliche Bildung. In der Gesellschaft sind sie geächtet, das erschwert die Integration.
Zugleich verfügen die Rebellen über beste Kontakte zur organisierten Kriminalität: Die Farc kontrolliert den Koka-Anbau, sie hat sich mit Drogenhandel, Entführungen und Schutzgelderpressungen finanziert. Für viele ehemalige Guerilleros ist die Versuchung groß, sich in Zukunft als Gangster durchzuschlagen.
Hinzu kommt die Sorge, dass sich die Gewalt jetzt womöglich in die Städte verlagert. Bislang spielte sich der Krieg vor allem auf dem Land ab, in Bogotá oder Medellín haben die Einwohner von dem Gemetzel in der Provinz nicht viel mitbekommen. Jetzt fürchten viele, dass Ex-Guerilleros in die Städte ziehen und dort die Kriminalität in die Höhe treiben.
Das Friedensabkommen lässt viel Raum für Interpretationen, das schürt die Zweifel. Vergangene Woche legte die Staatsanwaltschaft der Regierung 60 Fragen zu dem Vertragswerk vor. Es ging darin um heikle Themen: Wie werden Guerilleros bestraft, die sich Verbrechen gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht haben? Wer muss ins Gefängnis, wer kann seine Strafe mit "Dienst an der Gemeinschaft" abbüßen? Erhalten Anführer der Guerilla automatisch Sitze im Parlament oder nur einen "Beobachterstatus"? Wie will die Regierung die Farc bewegen, das einträgliche Geschäft mit den Drogen aufzugeben?
Die Antworten der Regierung offenbarten "viele Grauzonen, die die Umsetzbarkeit in Frage stellen", kritisierte der Oppositionsabgeordnete Santiago Valencia. Sie gehört der Partei "Centro Democrático" an, die vor drei Jahren von Ex-Präsident Álvaro Uribe gegründet wurde, Santos` Amtsvorgänger und einstigem Mentor.
Der Traum vom Friedensnobelpreis
Der konservative Uribe, der sich mit Santos überworfen hat, genießt im Volk nach wie vor großes Ansehen. Mit seiner "Politik der harten Hand" hatte er die Farc nach Ansicht vieler Kolumbianer so sehr geschwächt, dass die Regierung den Rebellen "einen Frieden zu unseren Bedingungen" hätte aufzwingen können, so Senator Alfredo Rangel, ein Uribe-Freund. Santos sei ein "Opportunist, der das Land der Guerilla ausliefert". Uribe verkündete gestern den Beginn einer Kampagne "für das No".
Santos tut sich schwer, seine Landsleute zu überzeugen: Er ist nicht besonders charismatisch, seine Regierung wurde von mehreren Korruptionsskandalen erschüttert. Viele Kolumbianer machen ihn für den wirtschaftlichen Niedergang der vergangenen Monate verantwortlich, seine Umfragewerte pendeln um die 20 Prozent. Er will die Volksabstimmung so schnell wie möglich abhalten, am 2. Oktober: Wenn die Abstimmung sich bis November oder Dezember verzögert, wächst das Risiko, dass die Entscheidung sich mit der Abstimmung über ein unpopuläres Paket von Steuererhöhungen und Sparmaßnahmen überkreuzt.
Wird der Friedensschluss dagegen frühzeitig und mit einer überzeugenden Mehrheit angenommen, wachsen die Chancen, dass ein Traum des Präsidenten in Erfüllung geht: Er möchte seine Amtszeit gern mit dem Friedensnobelpreis krönen, der im Dezember verliehen wird. International ist sein Renommee größer als in der Heimat, er wird als Friedensbringer gefeiert. In der Bevölkerung stößt das Referendum jedoch bislang auf wenig Interesse: Umfragen zufolge wollen nur etwa 35 Prozent der Wahlberechtigten zur Abstimmung gehen.
Die Sorgen der Farc
Auch innerhalb der Guerilla ist das Abkommen umstritten. Viele Guerilleros fürchten, dass sie nach der Entwaffnung zu Freiwild für rechtsgerichtete Todesschwadronen werden. Sie ziehen Parallelen zum Massaker an der "Unión Patriótica": In den Achtzigerjahren waren über 3500 Mitglieder dieser Linkspartei, die den politischen Arm der Guerilla repräsentierte, von rechtsgerichteten Paramilitärs ermordet worden.
Die Farc-Führung will in den kommenden Wochen eine "Konferenz" aller Kämpfer und Milizionäre einberufen, auf der über das Friedensabkommen beraten werden soll. Einige "Frentes", wie die Kampfabteilungen der Rebellen genannt werden, haben sich gegen das Abkommen ausgesprochen.
Wenn das Vertragswerk von allen Seiten angenommen wird, steht Santos immer noch vor einer Herausforderung, an der bislang jeder kolumbianische Präsident gescheitert ist: Er muss beweisen, dass die Regierung das gesamte Territorium kontrolliert und nicht nur ein paar Städte und leicht zugängliche Regionen. Kolumbien zeichnet sich durch die wohl komplizierteste Topografie Südamerikas aus: Große Teile des Landes bestehen aus unzugänglichen Gebirgen und Dschungel. In vielen Regionen ist die Regierung nicht präsent; dort herrschen Warlords, Drogenbanden oder andere bewaffnete Gruppen.
Was geschieht, wenn der Staat das Vakuum nicht besetzt, lässt sich im nahen Mittelamerika studieren. In El Salvador, das viel kleiner ist als Kolumbien, hatten sich Anfang der Neunzigerjahre Regierung und Guerilla nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg zu einem viel bejubelten Friedensabkommen zusammengerauft. Zwanzig Jahre später sterben in dem Zwergstaat mehr Menschen eines gewaltsamen Todes als während des Bürgerkriegs - die meisten sind Opfer krimineller Banden, die das Land unter sich aufgeteilt haben.
Quelle : spiegel.de
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