Die Massengräber offenbaren die Bestialität des IS

  31 Auqust 2016    Gelesen: 591
Die Massengräber offenbaren die Bestialität des IS
Der Islamische Staat mordet im großen Stil – und versucht seine Gräueltaten im Irak und in Syrien nicht einmal zu verbergen. 72 Massengräber zeugen davon. Doch die Dunkelziffer könnte immens sein.
Rauch und Flammen überall, immer wieder der Knall von Schüssen. Talal Murat kann fliehen, versteckt sich in einem Bach, stundenlang. Aus der Ferne hört er eine neue Schusssalve und weiß, was sie bedeutet: Kämpfer des Islamischen Staates (IS) töten die Männer in seiner Familie.

Auf der anderen Seite des Berges sieht Arkan Kassem durch seine Ferngläser, wie gefesselte Männer aus Nachbardörfern erschossen und dann mithilfe eines Bulldozers begraben werden. Sechs Tage lang beobachtet er mit Grauen, wie die Extremisten ein Grab nach dem anderen mit seinen Verwandten und Freunden füllen.

Zwei Szenen des Schreckens auf dem Berg Sindschar, am Ende sechs Stellen, an denen mehr als 100 Leichen verscharrt sind. Es ist nur ein Bruchteil der Massengräber, in denen sich der IS im Irak und Syrien seiner Opfer entledigt hat.

Mithilfe von Exklusivinterviews, Fotos und Recherchen hat die Nachrichtenagentur AP 72 die Massengräber dokumentiert und kartografiert – die bisher umfassendste Studie dieser Art. Und bei dieser Zahl wird es nicht bleiben. Mit dem Schrumpfen des vom IS kontrollierten Territoriums werden wohl viele weitere Gräber entdeckt werden.

Extremisten betrachten die Jesiden als Teufelsanbeter

In Syrien hat die Agentur bereits 17 Orte mit einem Massengrab ausgemacht, darunter eines, das die Leichen von Hunderten Angehörigen eines einzelnen Stammes enthält – ausgelöscht, als die Dschihadisten die Region besetzten. Im Fall von mindestens 16 Massengräbern im Irak können die Behörden nicht einmal schätzen, wie viele Tote sie enthalten: Sie liegen zumeist in Gebieten, in denen es zu gefährlich ist, die Leichen auszugraben.

In anderen Fällen basieren die Schätzungen auf den Angaben traumatisierter Überlebender, IS-Propaganda und Rückschlüssen nach einem oberflächlichen Blick auf die Erde. Aber schon die Zahl der begrabenen Opfer, von denen man weiß, ist erschütternd: zwischen 5200 und mehr als 15.000.

Sindschar im Irak war die Heimat der Jesiden, einer religiösen Minderheit. Muslimische Extremisten haben sie als Teufelsanbeter gebrandmarkt, der IS griff im August 2014 an.

Die Leichen von Talal Murats Vater, Onkel und Cousins liegen unter den Trümmern des Familienbauernhofs, für überlebende Verwandte war es bisher zu gefährlich, zurückzukehren, um die Toten zu bergen.

Oft sind die Leichen nur dünn mit Erde bedeckt

Auf der anderen Bergseite fährt Rascho Kassim täglich an den Gräbern mit den Leichen seiner beiden Söhne vorbei. Die Straße liegt in einem Gebiet, das zurückerobert worden ist, aber die fünf Gräber sind unberührt, durch Seile abgesperrt. Bisher fehlt es an Geld oder dem politischen Willen, die Toten zu exhumieren.

"Wir wollen sie herausholen. Es sind nur noch Knochen zurückgeblieben. Aber sie sagten: `Nein, sie müssen da bleiben, ein Komitee wird später kommen und sie ausgraben`", sagt Kassim. "Es sind schon zwei Jahre, aber niemand ist gekommen."

Der IS selbst hat nicht einmal versucht, seine Gräueltaten zu verbergen. Oft sind die Leichen nur dünn mit Erde bedeckt. Und die Dschihadisten prahlen mit dem, was sie anrichten, haben ihren Massenmord manchmal selbst gefilmt.

"Sie enthaupten Menschen, erschießen sie, überrollen sie mit Autos, wenden alle Arten von Tötungstechniken an, und sie versuchen nicht einmal, es zu verbergen", sagt Sirwan Jalal, Leiter einer Behörde im irakischen Kurdengebiet, die für die Massengräber zuständig ist.

Reifenspuren auf dem Boden weisen auf Blutbad hin

Dennoch wird es mit zunehmendem Verfall der Gräber schwieriger nachzuweisen, was UN-Vertreter und andere als andauernden Völkermord bezeichnet haben. "Wir sehen klare Beweise für die Absicht, das jesidische Volk zu vernichten", sagt Naomi Kikoler, die im Auftrag des Holocaustmuseums in Washington kürzlich die Region besucht hat. "Es gibt praktisch keine Bemühungen, die begangenen Verbrechen systematisch zu dokumentieren, die Beweise zu sichern und dafür zu sorgen, dass Massengräber identifiziert und geschützt werden."

Und dann sind da die Gräber, an die man bisher nicht herankommt. Die Horrortaten des IS gehen weit über die Jesidenregion im nördlichen Irak hinaus. Satelliten etwa bieten den besten Einblick in Massaker wie dem an 600 männlichen Insassen des Badusch-Gefängnisses nahe Mossul im Juni 2014. Fotos, die der US-Analysefirma AllSource Analysis vorliegen, zeigen zusammengescharrte Erde und Reifenspuren – was darauf hindeutet, das dies die Stelle ist, an der das Blutbad geschah.

Quelle : welt.de

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