In Großbritannien proben die Lords den Aufstand

  27 Oktober 2015    Gelesen: 427
In Großbritannien proben die Lords den Aufstand
Das britische Oberhaus hat David Camerons harte Sparpläne abgelehnt und sich dem Votum des Unterhauses widersetzt – zum ersten Mal seit über 100 Jahren. Kritiker halten das für einen Verfassungsbruch.
Das britische House of Lords hat nun das getan, was es seit mehr als 100 Jahren nicht mehr getan hat. Es hat einem vom Unterhaus abgesegneten finanzpolitischen Gesetzespaket die Zustimmung verweigert. Es handelt sich um den umstrittenen Plan der Regierung, Steuererleichterungen für Familien mit geringen Einkommen abzuschaffen und dadurch mehr als vier Milliarden Pfund einzusparen. Mit der Abstimmung hat das Oberhaus eine Konvention gebrochen, die bis ins 17. Jahrhundert zurückreicht. Danach müssen sich die Lords, die nicht gewählt, sondern ernannt sind, dem "finanziellen Primat" des vom Volk gewählte Unterhauses beugen.

Nach der historischen Niederlage ließ Premierminister David Cameron seinen Sprecher mitteilen: " Der Premierminister ist fest entschlossen, dieses verfassungsrechtliche Problem anzugehen. Es gibt eine Regel und die wurde gebrochen. Er hat um eine schnelle Überprüfung gebeten, damit sie wieder in Kraft tritt."

Auch Finanzminister George Osborne, der für die umstrittenen Sparpläne verantwortlich ist, sprach von "verfassungsrechtlichen Fragen." Ein enger Verbündeter bezeichnete die Abstimmung gar als "verfassungsrechtlichen Skandal". "Es geht hier um öffentliche Gelder von 4,4 Milliarden Pfund. Das Prinzip, dass das Unterhaus über finanzielle Dinge herrscht, ist entscheidend für das Funktionieren unseres Systems."

Einsparungen treffen vor allem Einkommensschwache

In den kommenden Tagen wird sich zeigen, ob dieser verfassungsrechtliche Gegenangriff der Regierung die Blamage überspielen kann, die das Oberhaus ihr zugefügt hat. Osborne ist nun gezwungen, eines seiner wichtigsten Reformvorhaben zu überarbeiten.

Nach der Abstimmung der Lords muss er dafür sorgen, dass Geringverdiener in den kommenden drei Jahren keine realen Einschnitte erleiden. Außerdem muss die Regierung von unabhängigen Experten überprüfen lassen, welche Auswirkungen die beabsichtigte Neujustierung von Steuergutschriften im Detail hätte. Das System ist so kompliziert, dass die Meinungen darüber weit auseinander gehen.

Vor ihrer Wiederwahl hatten Cameron und Osborne angekündigt, das Haushaltsdefizit weiter zu reduzieren. Sie hatten sich allerdings geweigert festzulegen, in welchen Bereichen sie die Ausgaben weiter kürzen wollen. Dass die Sparpläne nun vor allem Einkommensschwache treffen, empfinden Kritiker als Verrat am Slogan der Tories, sie sei "die Partei der arbeitenden Leute".

Leidenschaftliche Diskussion im House of Lords

Trotzdem hat das Unterhaus die Pläne in drei verschiedenen Abstimmungen abgesegnet. Sogar die oppositionelle Labour-Partei hatte nach dem Willen der vorübergehenden Parteivorsitzenden Harriet Harman im Sommer dafür gestimmt. Einer der wenigen Widerständler war damals Jeremy Corbyn, der wenig später zum Parteivorsitzenden gewählt wurde.

Die gestrige Diskussion im Oberhaus, die so leidenschaftlich geführt wurde wie selten, hat somit in gewisser Weise die Debatte nachgeholt, die im Unterhaus nie geführt wurde. So sagte Baronin Patricia Hollis, die den Aufstand gegen die Sparpläne anführte: "Ich will nicht fromm klingen, aber ich glaube, es geht darum, dass wir unser Wort halten müssen und das des Premierministers – dass Arbeit sich lohnen soll. Es geht um Respekt für jene, die alles tun, worum wir sie bitten, und die jetzt dafür bestraft werden, dass sie das Richtige tun. Es geht um das Vertrauen zwischen dem Parlament und dem Volk, dem wir dienen."

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