Chemische Abfälle auf dem Acker

  06 September 2016    Gelesen: 601
Chemische Abfälle auf dem Acker
In Mittelbaden ist der Boden weiträumig verseucht. Zwei Wasserwerke mussten schon vorübergehend abgestellt werden. Umweltschützer sprechen vom flächenmäßig größten Umweltskandal Deutschlands.
In Baden-Württemberg bahnt sich ein Umweltskandal großen Ausmaßes an. Wasser und Äcker sind weiträumig mit Chemikalien verseucht. Zwei Wasserwerke mussten schon vorübergehend abgestellt werden. Betroffen war vor allem die mittelbadische Stadt Rastatt mit rund 50.000 Einwohnern. Die Behörden entdecken immer neue verseuchte Felder, es handelt sich inzwischen um mehr als 400 Hektar Land. Umweltschützer sprechen mittlerweile vom flächenmäßig größten Umweltskandal Deutschlands.

Das Ausmaß des Falles, der vor drei Jahren bekannt wurde, kann allerdings heute immer noch nicht verlässlich eingeschätzt werden. Als Verursacher steht ein Komposthändler aus Bühl im Verdacht. Er soll über Jahre hinweg Gratis-kompost an Bauern verteilt haben, dem Abfälle aus der Papierindustrie beigemischt waren. Diese Papierschlämme enthielten sogenannte polyfluorierte Chemikalien, abgekürzt PFC. Sie werden in der Industrie vielfältig eingesetzt. Die Substanzen weisen Wasser, Fett und Schmutz ab und stecken deshalb in Hunderten von Produkten wie Outdoorjacken, beschichteten Pfannen, Kaffeebechern, Pizzakartons, Putzmitteln oder Imprägniersprays.

Entsorgung minderwertigen Materials

Polyfluorierte Chemikalien werden seit rund sechzig Jahren hergestellt, doch ihre Gesundheitsgefahren sind noch wenig erforscht. Über die Nahrungskette und die Luft gelangen sie in die Organe von Mensch und Tier. Wissenschaftler haben aber schon Alarm geschlagen. Denn die Stoffe gelten als möglicherweise krebserregend. Außerdem stehen sie in Verdacht, das Hormonsystem zu stören und Erkrankungen der Schilddrüse auszulösen. Das Umweltbundesamt bewertet die Fluorchemikalien als „besonders besorgniserregend“.

In einem ersten Gerichtsurteil ist der Komposthändler dazu verpflichtet worden, die Voruntersuchungen der Böden zu bezahlen. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte festgestellt, dass es sich bei dem Kompostgemisch „um die kostengünstige Entsorgung minderwertigen Materials und nicht um die Lieferung biologischen Düngers gehandelt hat“. Der Komposthändler bestreitet die Vorwürfe, sein Anwalt wirft den Behörden „eine dünne Beweisführung“ vor. Der Fall wird die Gerichte noch über Jahre beschäftigen.

Die lokalen Behörden haben Äcker und Wasser zwar untersucht, den Landwirtschaftsbetrieb aber nicht verboten. Die Bauern in der Region, die vor allem für ihren Spargel, ihre Erdbeeren und Zwetschgen bekannt sind, dürfen unter bestimmten Auflagen weiterhin Obst und Gemüse anbauen. Fünf Jahre lang soll jetzt untersucht werden, ob es bei dieser Praxis bleiben kann.

Trinkwasserversorgung „akut bedroht“

In der Kritik steht auch das baden-württembergische Umweltministerium, das von den Grünen geleitet wird. Es sieht bisher keinen Anlass, sofort etwas gegen die anhaltende Verseuchung des Grundwassers zu tun, teilte ein Sprecher der F.A.S. mit. Aufgrund der komplexen Belastungssituation und der außergewöhnlich großen betroffenen Fläche würden keine geeigneten Sofortmaßnahmen zur Verfügung stehen. Zudem bestehe derzeit keine akute Bedrohung für die Trinkwasserversorgung der Stadt Rastatt, schreibt das Ministerium.

Die zuständigen Stadtwerke widersprechen dieser Darstellung. In einem Schreiben an das Umweltministerium vom Juli warnt deren Geschäftsführer, dass die Trinkwasserversorgung der Stadt Rastatt „akut bedroht“ sei. Derzeit lässt er eine Notwasserleitung bauen.

Die Haltung des Umweltministeriums empört auch den ehemaligen SPD-Landtagsabgeordneten der Region, Gunter Kaufmann. Er findet es sonderbar, dass das Ministerium die notwendige Sanierung des Grundwassers vernachlässige. Immerhin sei der Schutz des Wassers ein im Grundgesetz verankertes Ziel. Bürger hätten ein Recht auf sauberes Wasser.


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