Was hinter Merkels Schuldeingeständnis steht

  20 September 2016    Gelesen: 623
Was hinter Merkels Schuldeingeständnis steht
Angela Merkel baut Kritikern von der CSU eine Brücke – sie können die Worte nun als Fehlereingeständnis verstehen.
Warum das wichtig ist:

Bundeskanzlerin Angela Merkel ist noch nie so weit auf die Kritiker ihrer Flüchtlingspolitik zugegangen. Nun sind die CSU und Horst Seehofer am Zug.

An dieser Erklärung hat Angela Merkel (CDU) sicher nicht erst seit Sonntagabend gearbeitet. Nicht erst, nachdem die erwartet herbe Niederlage ihrer Union bei der Berlin-Wahl Gewissheit geworden war. Dafür wählte die Bundeskanzlerin am Montagmittag ihre Worte viel zu bedacht, fernab ihrer sonst oft umständlichen Diktion.

Es ging ihr offensichtlich darum, Botschaften zu hinterlassen. Hörbare, verständliche, selbstkritische und solche, die eine Antwort von anderer Seite, etwa der CSU, geradezu erzwingen.

Anstatt sich bei der Analyse der Wahlschlappe aufzuhalten, hielt Merkel eine etwa zehnminütige Rede, die als verbale „Merkel-Wende“ in der Flüchtlingspolitik verstanden werden kann. Der Pflichttermin im Adenauerhaus bot dafür den willkommenen Anlass, auch weil eine ausreichend große Zahl Kameras und Mikros auf die Kanzlerin gerichtet war.

In persönlichem Ton, der nicht nur das in ihrem berüchtigten „Wir schaffen das“ aufgehobene „wir“ bemühte, sondern häufig auch „ich“ einschloss, räumte Merkel Fehler in der Flüchtlingspolitik ein. Ihre zentralen Sätze lauteten: „Wir haben weiß Gott nicht alles richtig gemacht. Wir haben zu lange gewartet.“ Und: „Wenn ich könnte, würde ich die Zeit um viele, viele Jahre zurückspulen.“

Angela Merkel gesteht Fehler in der Flüchtlingspolitik ein

Es ist vor allem dieser Satz, der hängen bleiben soll. Denn bewusst spricht die Kanzlerin davon, dass sie sich mit der ganzen Bundesregierung gerne besser auf die Lage vorbereitet hätte. Es ist dies das Fehlereingeständnis, wie es von der bayerischen Schwesterpartei seit Monaten gefordert wird.

Das Zerwürfnis zwischen CSU und CDU ist einer der Gründe, warum die Union bei den Wahlen zuletzt so schlecht abgeschnitten hat. Merkel geht somit auf jene zu, die von ihr fordern, die Vergangenheit nicht ruhen zu lassen, sondern sie hinsichtlich ihres Handelns in der Flüchtlingskrise aufzuarbeiten.

Dass viele Bürger genau das erwarten, zeigte sich bei den Wahlen. Die enormen Gewinne für die AfD sind dafür der Indikator. Besonders aufschlussreich war dabei der Ausgang in Mecklenburg-Vorpommern vor zwei Wochen. Der dortige CDU-Spitzenkandidat Lorenz Caffier hatte nämlich als Innenminister eine Politik gemacht, die den Asylgegnern kaum Angriffsflächen bot. Dennoch wurde seine Partei abgestraft und landete noch hinter der AfD.

Eine große Zahl Wähler gibt sich offenbar nicht damit zufrieden, von Merkel zu hören, dass die Flüchtlingspolitik in Zukunft eine andere sein werde – wofür die Regierungschefin politisch ja längst die Weichen gestellt hat. Die Wähler verlangen vielmehr eine Art „mea culpa“ im Hinblick auf die Vergangenheit.

Das liefert Merkel ihnen nun. Das geschieht angesichts einer weiteren Wahlniederlage, was die Wirkung noch verstärkt. „Wir waren keine Weltmeister bei der Integration. Wir haben zu lange gewartet, bis wir uns der Flüchtlingsfrage wirklich genähert haben“, sagt die Kanzlerin. „Auch ich habe mich lange Zeit gerne auf das Dublin-Verfahren verlassen, das uns Deutschen das Problem abgenommen hat.“

„Wir schaffen das“ erzeugt nur noch Beißreflexe

Auch hier wird sich die CSU-Führung bestätigt fühlen. Denn schon Monate bevor die Situation, wie Merkel sagt, „uns im Spätsommer 2015 eher unvorbereitet traf“, hatte es Warnungen aus Bayern in Richtung Berlin gegeben, dass die Lage an den Grenzen außer Kontrolle zu geraten droht. Damals langten noch keine Tausende Flüchtlinge pro Tag an, sondern erst Dutzende oder allenfalls wenige Hundert.

Merkel beteuert, dass es eine Wiederholung des vergangenen Jahres nicht geben werde. Dafür wolle sie „kämpfen“. Schon bei ihrer Sommerpressekonferenz im Juli hatte die Kanzlerin gesagt, dass sich 2015 „so nicht wiederholen“ werde. Allerdings ging das seinerzeit unter, da Merkel sich mit ihrem emphatischen Beharren auf dem Satz „Wir schaffen das“ selbst die Chance nahm, mit anderen Botschaften Gehör zu finden.

Von diesem Satz rückt die Kanzlerin nun mehr und mehr ab. Er sei zu einem bloßen Motto, einer Leerformel geworden. Sie wolle ihn eigentlich kaum noch benutzen. Die CSU dürfte auch das freuen. Dort erzeugt „Wir schaffen das“ nur noch Beißreflexe.

Am Ende gesteht Merkel ein, dass sie sicher niemanden überzeugen werde, „der immer nur ,Merkel muss weg‘ schreit“. Jenen mit Fakten zu kontern, die ihr vorwürfen, das Land in die Überfremdung zu treiben, sei unlogisch, sagt ausgerechnet die Naturwissenschaftlerin.

Und setzt dem Gefühl sogar ein Gefühl entgegen: „Ich habe das absolut sichere Gefühl, dass wir aus dieser Phase besser herausgehen werden, als wir hineingegangen sind.“ Das Land werde sich verändern, nicht aber in seinen Grundfesten.

Horst Seehofer und der CSU eine Brücke gebaut

Merkel ist ihren Kritikern weit entgegengekommen. Jene, die ihr weiterhin vorhalten, ihre Entscheidung vom 4. September 2015, die Flüchtlinge aus Ungarn unkompliziert und unkontrolliert ins Land zu holen, noch immer zu verteidigen, werden es schwerer haben. „Wir hatten eine Zeit lang nicht ausreichend die Kontrolle“, bekennt Merkel in Bezug auf die Monate nach dem 4. September.

Jetzt ist die CSU gefordert, die breite Brücke zu beschreiten, die ihr die CDU-Vorsitzende gebaut hat. Deren Rede enthält genug Sätze, die Parteichef Horst Seehofer als Fehlereingeständnis der Kanzlerin vor seinen Anhängern verkaufen kann. Er muss es nur tun. Noch mehr „Asche auf mein Haupt“ darf er wohl kaum erwarten.

Selbst in puncto Obergrenze gibt die Kanzlerin sich ja sogar kompromissbereit. Eine „statische Obergrenze“ werde es mit der CDU nicht geben, sagt sie zwar. Das heißt aber logischerweise, dass es eine nicht statische Obergrenze für Asylbewerber geben kann. Österreich operiert etwa mit Prozentzahlen, die sich an der heimischen Bevölkerung orientieren. Konkrete Aussagen macht Merkel dazu nicht.

Im Übrigen übernimmt Merkel damit natürlich einen Gutteil der Verantwortung für das miserable Ergebnis der CDU in der Hauptstadt. Dass dieses zu einem erheblichen Teil auf die Politik und das Auftreten des Spitzenkandidaten Frank Henkel zurückzuführen ist, fällt damit fast unter den Tisch.

Immerhin: Öffentlich gab es für Henkel aus der Hand von Merkel keinen Blumenstrauß. Die Kanzlerin wollte schließlich gleich zu den wirklich wichtigen Dingen kommen.

Quelle : welt.de

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