Auch die Reifen gehen in die Breite. Vorne um sechs, hinten um acht Zentimeter. Das führt zu einer um 25 Prozent vergrößerten Auflagefläche. Die Ingenieure rechnen damit, dass der aerodynamisch erzeugte Abtrieb um 20 bis 30 Prozent steigt. Breitere Reifen bieten mehr mechanischen Grip. Die Motoren werden die 950-PS-Marke überspringen. Die Rundenzeiten werden deutlich sinken. Die Simulationen ergeben eine Verkürzung der Rundenzeit um drei bis vier Sekunden, je nach Streckenlänge. Obwohl das Mindestgewicht von 701 auf 722 Kilogramm steigt, ist die Tendenz leicht erkennbar: Vettel und Co werden die schnellsten Boliden der Formel-1-Geschichte steuern.
Vettel und Kollegen sollen künftig die schnellsten Wagen der Formel1-Geschichte steuern.
Auf den Geraden werden die Geschwindigkeiten zwar um Nuancen geringer sein, aber dafür umso höher in den Kurven. Die Formel 1 wird überall neue Streckenrekorde aufstellen. Dabei haben schon die besten Autos des Jahrgangs 2016 auf fünf der 15 Strecken in diesem Jahr die schnellsten Trainingsrunden unterboten. Reifenausrüster Pirelli registrierte diese Beschleunigung nicht ohne Sorgen. Im Durchschnitt sind die Rundenzeiten um 3,5 Prozent im Vergleich zu 2015 gefallen. Mit entsprechend höherer Belastung für die Reifen. Pirelli schützt seine Pneus mit teilweise absurd hohen Luftdrücken vor Schäden.
Nur im Rennen, wie am Sonntag beim Großen Preis von Malaysia in Sepang (9 Uhr MESZ/ Live im Formel1-Ticker auf FAZ.NET), sind die Autos den Fahrern zu langsam. Weil die Reifen eine Dauerbelastung nicht aushalten. Einmal zu aggressiv gefahren, und schon heizt sich die Oberfläche zu stark auf. Dann muss der Fahrer wieder Gas rausnehmen. „Wir fahren im Rennen nicht viel schneller als die GP2-Serie“, spottet Fernando Alonso. Sebastian Vettel ergänzt: „Mit den Reifen kannst du nur eine Runde im Training Spaß haben. Im Rennen geht es darum, die Reifen zu schonen.“
Deshalb gehen viele mit einem bangen Gefühl in die kommende Saison. Die Reifen werden zwar breiter, aber sie müssen auch viel mehr aushalten. „Sie sind ja jetzt schon am Limit. Wie soll das erst im nächsten Jahr werden?“, sagt ein Ingenieur. Deshalb hat Pirelli den Internationalen Automobil-Verband und die Teams dazu vergattert, die Zukunft jetzt vorzubereiten. Mercedes, Red Bull und Ferrari haben sich bereit erklärt, ihre Autos des vergangenen Jahres so umzubauen, dass sie mehr Anpressdruck generieren, um halbwegs belastbare Testwerte für Pirellis neue Reifen zu bekommen.
Das Testprogramm wird über 24 Tage auf die Strecken Fiorano, Mugello, Barcelona, Paul Ricard und Abu Dhabi verteilt. Die Teams kostet das Experiment zwischen drei und fünf Millionen Euro extra. Von Pirelli gibt es einen Zuschuss von 200 Dollar pro Kilometer. Damit seien gerade die Motorkosten gedeckt, heißt es im Kreis der Teamchefs. Nicht wenige zweifeln die Aussagekraft der Testfahrten an. Die ersten Probefahrten haben bereits gezeigt, dass die Testträger bestenfalls zehn Prozent mehr Abtrieb generieren, aber wegen der alten Motoren weniger Leistung haben als das, was für 2017 erwartet wird. „Somit sind die Daten nur zum Teil repräsentativ“, sagt Red-Bull-Teamchef Christian Horner.
Vettel soll bei einer Versuchsfahrt in Barcelona nicht schneller gewesen sein als mit dem aktuellen Ferrari SF16-H. Allerdings wusste der viermalige Weltmeister auch Positives zu berichten: „Das Problem mit dem Überhitzen war weg.“ Vettel hofft jetzt, „dass wir nächstes Jahr auch mehrere Runden am Stück schnell fahren können“. Alonso macht sogar seine Zukunft in der Formel 1 vom Fahrspaß abhängig. Der Vertrag des Spaniers bei McLaren läuft Ende 2017 aus. „Im Augenblick dreht sich im Rennen alles um Reifen schonen, Benzin sparen, den Energiehaushalt managen. Das ist nicht das, was ich von der Formel 1 erwarte. Ich bin in der goldenen Zeit gefahren, als dich ein Formel-1-Auto noch gefordert hat. Wenn das nächstes Jahr nicht besser wird, höre ich auf.“ Die neuen Rennwagen, so die Theorie, werden Alonso den Nervenkitzel wieder zurückgeben. Doch Vettel warnt, dass der Schuss nach hinten losgehen könnte. „Wenn wir wirklich so viel Abtrieb bekommen, dann werden einige Kurven verschwinden und zur Gerade degenerieren. Eau Rouge (die berühmte Senke mit aufsteigendem Rechts-Links-Bogen in Belgien/d. Red.) geht dann mit einer Hand voll. Kurven wie Copse Corner in Silverstone sind kein Problem mehr.“ Mercedes-Pilot Hamilton macht sich Sorgen um die Bremsen. „Wir waren dieses Jahr in Singapur am Limit. Ich frage mich, wie das mit schnelleren, aber schweren Autos werden soll. Am Ende werden uns die Bremsen daran hindern, so schnell zu fahren, wie wir wollen.“
Experten fürchten, dass die Formel 1 mit der Aufrüstung in eine Sackgasse gefahren ist. Die Bremswege werden noch kürzer, die Aerodynamik noch wichtiger, die Autos wieder ein gutes Stück länger und auch breiter. Das alles spricht auf dem Papier für eine Verschärfung des Überholproblems. Ingenieure aber glauben, dass die Autos 2017 zu schnell für die Reifen sein werden. Vielleicht nicht gleich im ersten Rennen, aber spätestens dann, wenn der Entwicklungswettlauf die Abtriebswerte rasant ansteigen lässt. „Ich fürchte, wir werden auf den hohen Reifendrücken und den alten Problemen sitzenbleiben. Schon heute dreht sich an einem Rennwochenende alles nur noch ums Reifenmanagement. Du kommst gar nicht mehr zu einer normalen Abstimmungsarbeit am Auto“, klagt Andy Green, Technikchef von Force India.
Tags: