Spekulationen über ein Ende der Geldflut

  06 Oktober 2016    Gelesen: 686
Spekulationen über ein Ende der Geldflut
Nimmt EZB-Präsident Mario Draghi das Ende der Anleihekäufe in den Blick? Ein entsprechender Bericht wird zwar dementiert, bewegt aber die Märkte. Auch in Amerika beschäftigt die Geldpolitik die Börse.
Die Unsicherheit darüber, wie die Notenbanken jemals wieder aus der ultralockeren Geldpolitik aussteigen wollen, ist offenkundig nach wie vor groß. Während in den Vereinigten Staaten nach Äußerungen des Notenbank-Gouverneurs von Chicago darüber spekuliert wird, ob die Notenbank Federal Reserve (Fed) zumindest im Dezember die Leitzinsen anheben wird, ist die Frage in Europa vor allem: Wie wird es mit dem bislang bis März 2017 befristeten Anleihekaufprogramm der Europäischen Zentralbank (EZB) weitergehen?

Am Mittwoch sorgte deshalb ein Bericht der Nachrichtenagentur Bloomberg vom Dienstagabend für Aufsehen, in dem es unter Berufung auf einen nicht genannten Notenbankvertreter heißt, die EZB könnte vor dem Ende ihres milliardenschweren Wertpapierkaufprogramms ihre Käufe schrittweise verringern. Das Volumen könnte laut einem Szenario um je 10 Milliarden Euro pro Monat vermindert werden. Es gebe einen „informellen Konsens“ in der Notenbank, dass die „QE“ („Quantitative Easing“, mengenmäßige Lockerung) genannten Anleihekäufe allmählich auslaufen müssten, sobald ein Ende des Anleihekaufprogramms beschlossene Sache sei.

Allerdings gibt der Bericht keine Hinweise auf den Zeitpunkt einer Verringerung. Zudem wird darauf verwiesen, dass auch eine Verlängerung der Käufe über den bisher angepeilten Endzeitpunkt März 2017 hinaus möglich sei. Eine etwas vage Sache also.

Dementi der EZB sorgt nicht für Beruhigung

Die EZB selbst kommentierte den Bericht mit den Worten: „Der EZB-Rat hat über diese Themen noch nicht diskutiert, wie Präsident Mario Draghi bei der letzten Pressekonferenz und während seiner jüngsten Äußerungen vor dem Europäischen Parlament gesagt hat.“ Das wurde als Dementi gedeutet. Ein Sprecher der Bundesbank sagte dazu auf Anfrage, er halte den Bericht für „reine Phantasie“.

Gleichwohl spukte der Bericht weiter in den Köpfen der Marktteilnehmer herum, wie Börsenhändler sagten. Unterschiedliche Marktreaktionen wurden diesen Spekulationen zugeschrieben. Der Wechselkurs des Euros zum Dollar stieg zeitweise um 1 Prozent. Der Goldpreis verlor noch am Dienstag rund 3,3 Prozent und fiel auf den tiefsten Stand seit dem Brexit-Votum im Juni. Am Mittwoch gaben die Kurse deutscher Staatsanleihen nach. Der richtungweisende Euro-Bund-Future fiel bis zum Nachmittag um 0,5 Prozent auf 164,54 Punkte. Auch die Kursverluste am deutschen Aktienmarkt wurden unter anderem mit den Sorgen von Investoren über ein mögliches vorzeitiges Ende der Geldflut erklärt. Der deutsche Aktienindex Dax gab am Mittwoch zeitweise 1 Prozent nach, erholte sich bis zum späten Nachmittag aber wieder auf 10.614 Punkte.

Die Bank von Italien nahm den Bericht immerhin so ernst, dass sie sich zu einer öffentlichen Warnung vor unüberlegten Schritten der Notenbank genötigt fühlte. „Die jüngsten Prognosen für die Eurozone beinhalten auch eine erhebliche geldpolitische Unterstützung, deren Beibehaltung, wie der EZB-Rat bekräftigte, wesentlich ist“, sagte das Vorstandsmitglied der italienischen Notenbank Fabio Panetta auf einer Konferenz.

Commerzbank-Chefvolkswirt rechnet nicht mit neuer Strategie

Wie der ganze Vorgang zu deuten ist, war gleichwohl umstritten. In internationalen Medien wurde zum Teil darauf verwiesen, dass schließlich auch in den Vereinigten Staaten das Ende der Anleihekäufe der Fed zunächst mit einem Wechselspiel von durchgestochenen Gerüchten und postwendenden Dementis eingeleitet worden sei. Hatte Europa damit also jetzt seinen ersten „Taper Tantrum“-Schock an den Finanzmärkten, wie ein Kommentator des amerikanischen Senders CNBC meinte? Carsten Brzeski, der Chefökonom der ING Diba, sagte, der Bericht könnte aus seiner Sicht eine Mischung aus beidem sein, ein Versuchsballon der Notenbank und die Feststellung von Offenkundigem. Dazu gehöre zum Beispiel, dass Anleihekäufen niemals mit einem Paukenschlag endeten, sondern immer mit einem „Tapering“, einem langsamen Auslaufenlassen wie in Amerika.

Rein taktisch sei zudem denkbar, dass im Augenblick innerhalb der Notenbank darum gerungen werde, was mit dem Anleiheprogramm nach März 2017 passiere, meinte Brzeski. Wenn man das Programm verlängere, aber das Volumen verringere, könnte die Notenbank die Verlängerung womöglich als „Tapering“ verkaufen: „Das wäre eine Gesichtswahrung für Bundesbank und Co., die nicht mehr QE wollen, und würde gleichzeitig die Märkte beruhigen, da QE auf diese Weise mindestens bis Ende 2017 laufen würde.“

Jörg Krämer, der Chefvolkswirt der Commerzbank, äußerte sich allerdings äußerst skeptisch, dass Draghi beim derzeitigen Stand der Inflation tatsächlich schon über weniger Anleihekäufe nachdenke. „Anders als von der EZB erhofft, dürfte die Kerninflation nicht Richtung zwei Prozent steigen, sondern weiter bei unter 1 Prozent feststecken“, meinte Krämer. Außerdem seien die Ursachen der Staatsschuldenkrise in der Breite noch nicht gelöst. „In dieser Situation wird es die nahe an die Politik gerückte EZB nicht wagen, die Käufe von Staatsanleihen zu reduzieren“, meinte der Ökonom. Stattdessen dürfte die Notenbank noch in diesem Jahr beschließen, die Käufe über den März 2017 hinaus um neun Monate zu verlängern: „Das monatliche Kaufvolumen von 80 Milliarden Euro dürfte sie nicht schon 2017 reduzieren.“


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