Maßgeblich für das ablehnende Votum dürften weniger die nur begrenzt diskutierten Inhalte des Abkommens als die massive politische Polarisierung des Landes sein. Mit Ex-Präsident Álvaro Uribe steht der Gegenspieler von Amtsinhaber Juan Manuel Santos als Gewinner des Urnengangs fest. Uribe konnte mit sicherheitspolitischen Erfolgen während seiner Amtszeit als Präsident von 2002 bis 2010 bei der Bevölkerung punkten. Seine Forderungen, für die Farc-Kommandanten wegen ihrer Verbrechen Gefängnisstrafen vorzusehen und ihre Gewinne aus dem Drogenhandel für die Wiedergutmachung heranzuziehen, haben die schweigende Mehrheit der Nichtwähler überzeugt – ebenso wie jene, die mit "Nein" stimmten: Die Mehrheit der Kolumbianer wollte Sicherheit und keinen "unsicheren Frieden", sie waren noch nicht zu Versöhnung und Vergebung bereit.
All dies hat viel mit Kolumbiens politischer Kultur zu tun, die geprägt ist von der Einschüchterung durch unberechenbare und entfesselte Gewalt seitens der Guerrilla und der Drogenkartelle. Die Bevölkerung sucht gerade deshalb den Schutz des starken Staates und klammert sich an Autorität und durchsetzungsfähige Führungspersönlichkeiten. Der geplante Friedensprozess, der nicht klar berechenbar war und eine weitreichende Umgestaltung der Gesellschaft bedeutet hätte, ist von der Mehrheit zumindest reserviert aufgenommen worden und stieß bei vielen auf offene Ablehnung.
Das Referendum zeigt vor allem dies: Die kolumbianische Gesellschaft ist tief gespalten, national, regional und sozial, selbst die Aussicht auf Frieden konnte sie nicht zusammenführen. Das ist eine schwere Belastung für die Zukunft, die nicht einfach zu überwinden sein wird.
Neue Gewalt
Mit dem Votum vom 2. Oktober 2016 sind alle rechtlichen Grundlagen für die Umsetzung der erzielten Vereinbarung entfallen. Damit müssen auch bereits angelaufene Prozesse gestoppt werden. Dies gilt vor allem für die Demobilisierung und Entwaffnung der Guerrillatruppen, die sich in diesen Tagen unter der Kontrolle der politischen Mission der Vereinten Nationen in 28 ausgewiesenen Transitionszonen versammeln sollten.
Gegenwärtig müssen sich die UN darauf beschränken, das Ende der Feindseligkeiten und den Waffenstillstand zu überwachen; ob sich die rund 6.000 Kämpfer inzwischen neu gruppieren, sich der allgemeinen Kriminalität zuwenden oder anderen Verbänden anschließen, können sie nicht kontrollieren. Das Abkommen hatte vorgesehen, dass die Kämpfer zusammengeführt, registriert, entwaffnet und in erste Bildungs- beziehungsweise Arbeitsbeschaffungsprogramme integriert würden. Zudem sollte ihre strafrechtliche Verantwortung individuell überprüft werden. Wenn nun ihre Betreuung und Versorgung ungewiss bleibt und die versprochene neue Zukunft auf die lange Bank geschoben wird, steht zu befürchten, dass es wieder zu Gewalt kommt.
Kolumbien in Südamerika
Auch die bereits angelaufene Übergabe minderjähriger und strafunmündiger Kämpfer aus den Reihe der Farc – sogenannter Kindersoldaten – in die Obhut des Roten Kreuzes wird unterbrochen, ebenso wie die begonnene freiwillige Zerstörung von Drogenplantagen durch die Farc. Der Anbau von alternativen Produkten kann wegen nicht bewilligter Finanzmittel nicht vorankommen, und auch die Zuweisung von Hilfsgeldern aus dem Ausland wird ins Stocken geraten. Viele Programme, die schnell anlaufen sollten – wie etwa der Aufbau der Übergangsjustiz – bleiben in den Startlöchern stecken. Damit geht das politische Momentum des Aufbruchs in den Frieden verloren, die erwünschte Dynamik wird nur schwerlich ein zweites Mal zu erzeugen sein.
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