Das muss man über den Syrien-Krieg wissen

  12 Oktober 2016    Gelesen: 920
Das muss man über den Syrien-Krieg wissen
Am Anfang standen friedliche Proteste. Doch Präsident Assad reagierte mit Gewalt auf den Ruf der Bürger nach Freiheit und Demokratie. Heute tobt in Syrien der verheerendste Konflikt unserer Zeit – und einer der kompliziertesten.
Am Anfang standen friedliche Proteste. Doch die Regierung von Präsident Assad reagierte mit Gewalt auf den Ruf der Bürger nach Freiheit und Demokratie. Heute tobt in Syrien der verheerendste Konflikt unserer Zeit – und einer der kompliziertesten.

Wie entstand der Konflikt?

Ende 2010 ging ein Ruf durch den Nahen Osten. Es war der Ruf nach Freiheit, Rechtstaatlichkeit und Demokratie. Er war zuerst in Tunesien zu hören, breitete sich aber schnell in viele Staaten einer Region aus, in der autokratische Herrscher in Scheindemokratien regierten, als Könige in Monarchien oder Diktatoren von Militärregimen. Das Aufbegehren der Menschen wurde als Arabischer Frühling bezeichnet. Im März 2011 kam es auch in Syrien zu ersten friedlichen Protesten.

Als Wiege der Revolution in Syrien gilt Dar`a. In der 100.000-Einwohner-Stadt malten Kinder regierungskritische Parolen an die Wände ihrer Schule. Das Regime ließ sie festnehmen und Berichten zufolge foltern. Wütend, aber friedlich gingen ihre Eltern auf die Straße. Erstmals reagierte damals das Regime mit Gewalt auf den Widerstand gegen Willkür und Entrechtung.

In wenigen Monaten weitete sich der Protest auf das gesamte Land aus. Der autokratische Präsident Baschar al-Assad entsendete Panzer und Scharfschützen, um seine Regierung, die sich vor allem aus der Minderheit der Religionsgemeinschaft der Alawiten rekrutiert, zu schützen. Assad sprach von Anfang an von einem Kampf gegen den "Terrorismus". Tatsächlich führte er aber einen Krieg gegen die eigene Bevölkerung. Assads Gewalt radikalisierte die Opposition.

Warum wird noch immer gekämpft?

Anders als in Afghanistan und dem Irak waren die USA nicht bereit, mit aller Macht in Syrien zu intervenieren. Obwohl Machthaber Assad die "Rote Linie" übertrat, die ihm US-Präsident Barack Obama aufzeigte, und Chemiewaffen gegen die eigene Bevölkerung einsetzte, entsendeten die Vereinigten Staaten keine Bodentruppen. Sie griffen das Regime nicht aus der Luft an. Sie rüsteten auch die moderate Opposition in Syrien, vor allem die sogenannten Freie Syrische Armee (FSA), nicht in einem Maße aus, das ihr einen Sieg über Assad ermöglicht hätte. Der Bürgerkrieg in Syrien fällt in eine Zeit, in der sich Amerika angesichts seiner früheren umstrittenen Einsätze im Nahen Osten von seiner Rolle als Weltpolizist zurückzieht und die Vereinten Nationen (UN) oder die EU angesichts ihrer inneren Zerrissenheit noch nicht in der Lage sind, diese Funktion zu übernehmen.

Andere Mächte stürzten sich dagegen mit Verve in den Konflikt, um die eigene Position in Konflikten zu verbessern, die letztlich wenig mit Syrien zu tun haben. Vordergründig geht es dabei um den alten Konflikt der beiden dominierenden Konfessionen im Islam, der schiitischen, der auch Assads Alawiten angehören, und der sunnitischen. Tatsächlich sind diese Konflikte aber viel komplexer und die Konfessionszugehörigkeit nur ein Schleier, unter dem sich Machtansprüche von Staaten, Clans und Individuen verbergen.

Im sechsten Jahr des Konflikts ist in Syrien längst ein Stellvertreterkrieg zwischen regionalen und internationalen Großmächten zu beobachten – mit dem klassischen Dilemma dieser Art von Konflikten. Die nicht-syrischen Mächte pumpen ausreichend Geld und Waffen ins Land, damit ihre Stellvertreter nicht vernichtet werden. Im Bewusstsein, dass ihre regionalen oder globalen Gegenspieler dasselbe tun, wissen sie aber, dass sie kaum genug investieren können, um ihren Stellvertretern zu einem endgültigen Sieg zu verhelfen.

Wer ist am Syrien-Konflikt beteiligt?

Die Zahl der Kriegsparteien liegt mindestens im dreistelligen Bereich. Die syrische Opposition besteht aus einer Vielzahl an kleineren Akteuren. Die Wirren des Krieges schufen zudem die Grundlage dafür, dass sich einige neue Gruppen etablieren konnten. Zugleich mischten sich immer mehr Kräfte aus dem Ausland ein. Ein grober Überblick.

Assad und Partner: Das Assad-Regime wird von iranischen, irakischen und afghanischen Kämpfern unterstützt. Auch die libanesische Hisbollah kämpft auf der Seite des Präsidenten. Der mächtigste Partner ist allerdings Russland. Wladimir Putin kann den Konflikt nutzen, um sich geopolitisch zu profilieren. Das wiederholte Veto seines Landes im UN-Sicherheitsrat blockierte bisher ein gemeinsames Vorgehen der Weltgemeinschaft – obwohl das Regime Assads gegen fast alle Regeln verstoßen hat, die sich diese aus humanitären Gründen auch in Kriegszeiten auferlegt hat. Moskau bestimmt das Schicksal dieses Landes. Seit einem Jahr kämpft Russland mit massiver Waffengewalt sogar selbst in Syrien.

Die Gegner des Regimes: Zu den größten Gegnern des Regimes gehörte einst die FSA. Aus mangelnder Unterstützung aus dem Ausland ist von dieser Gruppe moderater Rebellen aber nicht mehr viel übrig. Die FSA ist mittlerweile so schwach, dass sie vielerorts gezwungen ist, auch Allianzen mit fragwürdigen islamistischen Milizen zu bilden, von denen es etliche gibt. Dass es sogar Allianzen zwischen moderaten Rebellen und Dschihadisten gibt, nutzt das syrische Regime, um den gesamten Widerstand als "terroristisch" zu brandmarken. Und Putin fördert diese Erzählung. Dass es Assad und Putin bisher nicht gelungen ist, die Opposition zu bezwingen, liegt daran, dass einige der sunnitischen Gruppen von den reichen Golfstaaten unterstützt werden. Zugleich verfügt Assad nicht mehr über eine Armee, die in der Lage wäre, die Bevölkerung langfristig zu unterdrücken. Etliche seiner Soldaten sind desertiert.

Zu den Gegnern des Regimes zählt auch der sogenannte Islamische Staat (IS), ein Ableger von Al-Kaida, der sich so radikalisierte, dass er mit dem Terrornetzwerk brach. Der IS konnte in seiner jetzigen Form erst in den Wirren des Bürgerkriegs entstehen.

Die Gegner des IS: Neben den Assad-Unterstützern und -Gegnern gibt es stark vereinfacht noch mindestens zwei weitere Fraktionen. Die kurdischen Kräfte im Norden Syriens verfolgen vor allem eigene Interessen und wünschen sich einen sicheren und friedlichen Kurdenstaat in der Region. Sie kämpfen vor allem gegen den IS. Gefördert werden sie von den USA. Die unterstützen aus Rücksicht auf den Nato-Partner Türkei zwar nicht den Aufbau eines Kurden-Staates. Doch sie schätzen die Schlagkraft der Kurden am Boden.

Die USA wiederum führen eine internationale Koalition von fast 70 Staaten an, die vor allem mit Luftangriffen gegen den IS kämpft. Die Bundesrepublik liefert für diese Einsätze Aufklärungsarbeit mithilfe von Tornado-Kampfjets. Abgesehen von ein paar Hundert Spezialkräften hat die Türkei bisher als einziges Mitglied der Koalition Bodenkräfte entsandt.

Wie viele Opfer forderte der Konflikt?


Die UN gaben es 2014 auf, die Toten zu zählen, weil es kaum verlässliche Informationen aus dem Kriegsgebiet gab. Die letzte offizielle Zahl lautete 250.000. Schätzungen und Analysen von Aktivistengruppen gehen mittlerweile aber von mehr als 400.000 Toten aus.

Wenn es um Opfer geht, kann aber nicht nur von Toten die Rede sein. Derzeit kommt praktisch keine humanitäre Hilfe mehr ins Land. Einige Orte sind von der Außenwelt abgeschlossen und das Regime nutzt Hunger und mangelnde medizinische Versorgung bewusst als Waffe. Es erschwert die Arbeit von Hilfsorganisationen und bombardiert Krankenhäuser. UN-Angaben zufolge sind in Syrien derzeit 13 Millionen Menschen auf humanitäre Hilfe angewiesen. Zudem haben mehrere Millionen Syrer die Flucht ergriffen, teils im Land, aber auch in die Nachbarstaaten und nach Europa.

Welchen Preis zahlt der Rest der Welt?

Einigermaßen sicher lassen sich nur die Kosten der Militäreinsätze berechnen. Nach Angaben des amerikanischen Verteidigungsministeriums beliefen sich diese allein bei den US-Streitkräften bisher auf mehr als neun Milliarden US-Dollar. Die Einsätze der Bundeswehr kosteten rund 26 Millionen Euro. Aus Russland gibt es zwar keine offiziellen Angaben. Schätzungen zufolge flossen aber schon mehr als 1,4 Milliarden US-Dollar in den Einsatz der Kräfte des Kreml.

Hinzu kommen Kosten für die humanitäre Hilfe in Syrien: Allein die Bundesregierung hat seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges eigenen Angaben zufolge bereits 1,46 Milliarden Euro an Hilfsgeldern für Syrien und Syriens Nachbarstaaten bereitgestellt. Bis 2020 will die Weltgemeinschaft weitere 12 Milliarden Euro ausgeben. So zumindest der Beschluss einer internationalen Geberkonferenz Anfang dieses Jahres.

Insbesondere die Nachbarstaaten Syriens, aber auch die Bundesrepublik haben zudem knapp fünf Millionen syrische Flüchtlinge aufgenommen. Allein in Deutschland sind es seit Kriegsausbruch rund 600.000 gewesen.

Doch diese Zahlen werden dem Drama dieses Konfliktes nicht gerecht. Die immateriellen Kosten sind immens. Angriffe auf Helfer und Krankenhäuser gehören in Syrien fast zum Alltag. Und dies ist nur ein Beispiel dafür, dass in Syrien auch der letzte Rest der Zivilisation verloren geht und die Vereinten Nationen nicht aus ihrer Zuschauerrolle herauskommen. Zugleich tritt mit Russland einerseits und den USA anderseits in der internationalen Politik wieder eine Polarisierung zutage, wie es sie seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr gegeben hat. Selbst befriedende Nuklearabkommen werden ausgesetzt. Mit dem IS ist außerdem eine Macht entstanden, die überall auf der Welt Anschläge verüben kann.

Der Syrien-Konflikt, das größte Drama dieser Zeit, könnte allerdings auch etwas Gutes bewirken. Insbesondere dadurch, dass Flüchtlinge aus Syrien im Rest der Welt um Hilfe bitten, schärft auch in Staaten wie Deutschland, die seit jeher von der Globalisierung profitiert haben, das Bewusstsein: Sie können und dürfen sich ihrer Verantwortung dafür, was im Rest der Welt passiert, nicht entziehen.

Quelle: n-tv.de

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