Wallonen blockieren Handelsabkommen mit Kanada

  19 Oktober 2016    Gelesen: 677
Wallonen blockieren Handelsabkommen mit Kanada
Das Handelsabkommen zwischen Europa und Kanada droht auf den letzten Metern zu scheitern. Widerstand leistet ein Teil von Belgien, in dem nicht mal ein Prozent der EU-Bürger lebt.
Es ist fast wie bei Asterix. Nur dass es kein gallisches Dorf ist, das den Römern unbeugsam Widerstand leistet, sondern die Wallonie, die den EU-Beschluss zum Handelsabkommen Ceta blockieren will. Und die Regierung des französischsprachigen Teils von Belgien, in dem 0,7 Prozent der EU-Bürger leben, hätte die Macht dazu.

Eigentlich wollten die zuständigen EU-Minister am Dienstag in Luxemburg grünes Licht für Ceta geben. Die Zustimmung des Europaparlaments und die feierliche Unterzeichnung beim EU-Kanada-Gipfel am 27. Oktober wären dann nur noch Formalien. Die Teile von Ceta, die unter EU-Hoheit fallen, könnten vorläufig in Kraft treten, bis alle Parlamente der EU-Staaten das Abkommen endgültig ratifiziert haben.

Doch obwohl die Minister fünf statt wie geplant eine Stunde lang debattierten, mussten sie die Entscheidung vertagen. Sie soll nun auf dem Treffen der Staats- und Regierungschefs am Donnerstag und Freitag in Brüssel fallen. Das, stellte EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström klar, sei die letzte Chance, um eine Absage des EU-Kanada-Gipfels noch zu verhindern: "Unsere kanadischen Freunde müssen wissen, ob sie ihre Flugtickets buchen können."

Kaum jemand hatte damit gerechnet, dass die Wallonie so hartnäckig sein würde. Doch alle Versuche, die Regionalverwaltung umzustimmen, sind bisher gescheitert. Am Freitag empfing Frankreichs Präsident François Hollande den wallonischen Ministerpräsidenten Paul Magnette im Elysée. Am Montagabend trafen sich die EU-Botschafter in Brüssel, um das Problem erneut anzugehen. Und zwischendurch versuchten auch die Kanadier selbst, auf die Wallonen einzuwirken.

Auch innerhalb Belgiens steigt der Druck auf die Ceta-Gegner. Im wallonischen Parlament mussten sich die Sozialisten von den Liberalen anhören, ihre Region zum "Kuba Europas" zu machen und ganz Europa in Geiselhaft zu nehmen. Die größte flämische Partei, die separatistische N-VA, beschuldigte die "Sowjetrepublik Wallonie", die wirtschaftlichen Interessen Flanderns zu gefährden.

Michel: "Die Lage ist sehr ernst"

Doch Magnette bleibt unnachgiebig. Er will das Votum des wallonischen Parlaments, obwohl für ihn nicht bindend, umsetzen - und der belgischen Zentralregierung die Vollmacht zur Unterzeichnung von Ceta verweigern. Der belgische Regierungschef Charles Michel hat ausgeschlossen, das Abkommen unter diesen Umständen abzusegnen. Die Lage sei "sehr ernst", sagte Michel am Montag im belgischen Parlament.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel scheint sich bereits auf Verzögerungen einzustellen. "Vielleicht braucht man auch ein bisschen Zeit", sagte der SPD-Chef in Luxemburg. Zwar glaube er nicht, dass Ceta noch scheitern könne. Aber Belgien und andere Länder hätten noch offene Fragen. Rumänen und Bulgaren etwa machen ihre Zustimmung davon abhängig, dass sie künftig ohne Visum nach Kanada einreisen dürfen. Nach Angaben von EU-Diplomaten ist man hier aber auf dem Weg zu einer Lösung.

Damit wären die Wallonen die letzte große Hürde. Dass sie ein Abkommen wie Ceta überhaupt stoppen können, liegt vor allem an der Struktur Belgiens. Zwischen Flamen im Norden, Wallonen im Süden und der deutschsprachigen Minderheit im Osten gibt es sprachliche, wirtschaftliche und kulturelle Unterschiede. Und anders als in Deutschland sind die Regionalregierungen nicht der Föderalregierung untergeordnet. Für Ceta heißt das: Spielen die Wallonen partout nicht mit, kann Belgien nicht zustimmen. Da die EU den Vertrag aber nur einstimmig beschließen kann, können die Wallonen das gesamte Abkommen torpedieren - mit potenziell verheerenden Folgen für die internationale Glaubwürdigkeit der EU.

Malmström warnt vor Absage des EU-Kanada-Gipfels

Ein leichter Ausweg ist nicht in Sicht. Die realistischste Option scheint derzeit ein Zusatzvertrag zu sein. Die EU-Kommission plant eine sogenannte Auslegungserklärung, die Teile von Ceta - etwa den umstrittenen Investitionsschutz - interpretiert. Das soll die Bedenken einzelner Länder zerstreuen, ohne die Verhandlungen über das gesamte Ceta-Abkommen wieder aufzuschnüren.

Der wallonische Regierungschef Magnette hat bereits Sympathie für diesen Weg signalisiert. Auch die Ceta-Gegner im wallonischen Parlament betonen, sie seien grundsätzlich für eine Vertiefung des Handels mit Kanada. Allerdings betonte Magnette, dass die Auslegungserklärung das gleiche juristische Gewicht haben müsse wie Ceta selbst. Ob eine rechtssichere Lösung auf diesem Weg möglich ist, haben Juristen in den vergangenen Tagen bereits bezweifelt.

Möglicherweise erleichtert auch das deutsche Verfassungsgericht eine Lösung. Karlsruhe hatte der Bundesregierung vergangene Woche drei Bedingungen für die Unterzeichnung gestellt. Unter anderem soll Deutschland aus der vorläufigen Anwendung von Ceta aussteigen dürfen, falls das Verfassungsgericht oder der Bundestag den Vertrag später ablehnen sollte. Das, sagte Gabriel nach dem Treffen, sei nun festgeschrieben worden - und gelte selbstverständlich für alle Staaten.

Der EU bleiben jetzt noch neun Tage, um die Wallonen zu überzeugen. Die Geduld Kanadas neigt sich derweil dem Ende zu. Europa müsse jetzt entscheiden, "wozu die EU gut ist", sagte der kanadische Premierminister Justin Trudeau vergangene Woche. Falls Europa "unfähig ist, ein fortschrittliches Handelsabkommen mit einem Land wie Kanada zu unterzeichnen, mit wem will Europa denn dann in den nächsten Jahren Handel treiben?"

Quelle : spiegel.de

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