Regierungschef in den Flitterwochen

  27 Oktober 2016    Gelesen: 542
Regierungschef in den Flitterwochen
Der Beliebtheit des kanadischen Ministerpräsidenten würde ein Scheitern von Ceta kaum schaden. Für Justin Trudeau gibt es wichtigeres.
Neue Bundeskanzler können nur auf eine „Schonzeit“ hoffen. Die englischsprachige Welt ist da romantischer. So ist in Kanada vom „honeymoon“ die Rede, und nie hat das Volk die Flitterwochen mit seinem neuen Ministerpräsidenten so in die Länge gezogen wie diesmal. Ein Jahr nach seinem Überraschungswahlsieg ist Justin Trudeau beliebter denn je. Mit seiner Erfahrung als Sohn des legendären Ministerpräsidenten Pierre Trudeau, als Snowboardtrainer, Lehrer und Türsteher strahlt der 45 Jahre alte Liberale ein Selbstbewusstsein aus, das ihm wenige Kanadier zugetraut hätten.

„Wenn Europa unfähig sein sollte, einen progressiven Handelsvertrag mit einem Land wie Kanada abzuschließen“, so Trudeau kürzlich, „mit wem will es dann noch ins Geschäft kommen?“ Ceta werde erweisen, ob die EU überhaupt noch „nützlich“ sei. Trudeaus Familie stammt aus Québec. Sollte er darum Verständnis für das Aufbegehren einer belgischen Region haben, so verbirgt er es.

Transpazifische Partnerschaft als wichtiges Projekt

Ceta ist nicht das Thema, das die Kanadier täglich umtreibt. Trudeaus heikelste Aufgabe besteht darin, bei schwachem Wachstum und niedrigen Energiepreisen die Ölwirtschaft zu stärken und zugleich ehrgeizige Klimaschutzziele zu erreichen. Bald kommt es zum Schwur, wenn er sich mit den Provinzen auf eine Kohlenstoffsteuer einigen muss. Trudeau könnte dafür eine Pipeline von Albertas Ölsandfeldern durch die Rocky Mountains an den Pazifik gutheißen.

Wichtiger als Ceta nimmt Kanada die Transpazifische Partnerschaft, die er bisher nur in Andeutungen unterstützt. Doch dieser Pakt dürfte an Washington scheitern. Amateurboxer Trudeau weiß, dass das eine Gewichtsklasse über Wallonien ist.

Alles neu unter Trudeau

Seine Popularität hängt mit der Neigung der Kanadier zusammen, ihre Identität in Abgrenzung zu den Vereinigten Staaten zu bestimmen. Während Donald Trump seinen Landsleuten eine immer düsterere Zukunft ausmalte und Muslime aussperren wollte, feuerten die Kanadier im vorigen Herbst ihren Ministerpräsidenten an, bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge Gas zu geben. Er hielt sein Versprechen und holte binnen Wochen 25000 Syrer ins Land.

Von seinem konservativen Vorgänger Stephen Harper hat sich Trudeau auch auf andere Weise abgesetzt. Er ging auf die indigenen Völker zu. Er zog Kanadas F-16-Flugzeuge aus der Koalition gegen den „Islamischen Staat“ ab, schickte dafür aber Militärberater in die Region. Er nahm Schulden auf, um in Infrastruktur zu investieren. Unter Druck des Obersten Gerichts paukte Trudeau ein Gesetz zur Legalisierung ärztlich assistierter Sterbehilfe durch. Für die Freigabe von Marihuana will er sich mehr Zeit nehmen.

Trudeau, Vater dreier Kinder zwischen zwei und neun Jahren, reist weiter durchs Land, als dauere der Wahlkampf noch an, und verspricht „sunny ways“. Auf einem seiner „sonnigen Wege“ geriet er neulich nach einem Surf-Ausflug am Pazifik auf ein Hochzeitsfoto. Plötzlich stand der Ministerpräsident am Strand von Tofino „oben ohne“ hinter der Braut und grinste. Das Bild landete auf Twitter – und alle Welt amüsierte sich. Von den Wallonen will sich Trudeau nicht von Wolke sieben schubsen lassen.


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