Aserbaidschan - ein wichtigster Energielieferant Europas
Keine Angst vor dem Ölpreis
Der staatliche aserbaidschanische Erdöl- und Erdgaskonzern Socar ist eine der wichtigsten Firmen, die an der Verlegung der Röhren beteiligt sind. Durch sie soll Gas von der zweiten Erschliessungsetappe des grossen Feldes Shah Deniz im Kaspischen Meer fliessen. Ein Konsortium rund um den britischen Konzern BP will 2018 das erste Erdgas von Shah-Deniz-2 fördern, 2020 sollen erste Lieferungen in Europa ankommen. Auch Socar ist Mitglied des Konsortiums. «Die Erschliessung kommt gut voran, wir liegen vor dem Zeitplan», sagt Murad Heidarow, Berater des Socar-Präsidenten, in einem Telefongespräch mit Managern des Konzerns.
Den gesamten Investitionsbedarf für den Korridor veranschlagt Heidarow auf 45 Mrd. $, wovon Aserbaidschan rund 10 Mrd. $ trägt. Der Investitionsplan sei robust, sagt er, keine Risiken seien absehbar – trotz dem niedrigen Erdölpreis. Es wäre für Baku riskant, wenn der Korridor nicht realisiert würde: Er ist mit Abstand das wichtigste Wirtschaftsprojekt Aserbaidschans, soll das Land vom Rohöl unabhängiger machen und seine politische Rolle stärken.
Wenn das Erdgas von Shah-Deniz-2 vor der Küste Bakus gefördert wurde, muss es drei Rohrleitungen durchströmen, bis es Italien erreicht: zuerst durch Georgien über die Südkaukasus-Pipeline, deren Kapazität derzeit erweitert wird; danach mittels der Transanatolischen Pipeline (Tanap) durch die Türkei sowie mittels der Trans Adriatic Pipeline (TAP) durch Griechenland, Albanien und das Mittelmeer nach Italien. Tanap und TAP werden neu errichtet und hatten sich 2013 gegen das Konkurrenzprojekt Nabucco durchgesetzt. Gemäss Socar ist die Erweiterung der Südkaukasus-Pipeline zu 66% abgeschlossen, der Bau von Tanap zu 34% und jener von TAP zu 25%.
An der TAP ist auch der Nordostschweizer Stromkonzern Axpo mit 5% beteiligt. Insgesamt soll die Leitung 10 Mrd. m3 Erdgas pro Jahr transportieren. Die Kapazität von Tanap beläuft sich auf 16 Mrd. m3 – die Differenz ist für den türkischen Markt bestimmt. Diese Volumina sind jedoch gering, wenn man sich russische Projekte anschaut: Der Kreml plant eine Erweiterung der Ostseepipeline Nord Stream um 55 Mrd. m3; und auch die erste Röhre der vorgesehenen Pipeline Turkish Stream für die Türkei, so sie denn Realität wird, soll bereits eine Kapazität von 16 Mrd. m3 haben. Socar-Manager Heidarow bleibt dennoch gelassen: Wenn überhaupt, werde der Kreml über Turkish Stream nur Lieferungen umleiten, die heute über die Ukraine strömten, sagt er. Womit sich der Kreis zur europäischen Energiesicherheit schliesst – und zur Zuversicht Bakus. «Wir hatten von Beginn an die Unterstützung der EU», so Heidarow. «Es war ihre Idee, es ist ihr Projekt.» Immerhin können die Kapazitäten von Tanap und TAP theoretisch verdoppelt werden – das würde aus dem Projekt mehr einen breiten Korridor als einen Schleichweg machen.
«Vertrag des Jahrhunderts»
Für das von Präsident Ilham Alijew regierte Aserbaidschan ist Shah-Deniz-2 auch so bereits ein Erfolg. Es ist der «Vertrag des 21. Jahrhunderts». So formuliert es zumindest Ichtijar Achundow in Anlehnung an den 1994 unter Alijews Vater von 13 Ölfirmen aus 8 Ländern unterzeichneten «Vertrag des Jahrhunderts». Dem verdankte Baku die wachsenden Ölexporte und den Aufschwung. Achundow ist Direktor des mit Socar verbundenen Unternehmens Bos Shelf, das unter anderem die beiden Bohrplattformen für Shah-Deniz-2 konstruiert. Er ist Herr über die weltgrösste Fabrik dieser Art, die nun für 4 Mrd. $ über 100 000 t Metall verbaut. Vielleicht werden seine Maschinen dereinst sogar benötigt, um den südlichen Erdgaskorridor in Richtung Iran oder nach Zentralasien zu erweitern. Dann wäre Baku im Energiepoker zwischen Russland und der EU endgültig auf der Gewinnerseite.
Quelle:nzz