Referendum in Italien

  29 November 2016    Gelesen: 487
Referendum in Italien
Matteo Renzi tingelt, blödelt, giftet - gegen seinen Untergang. Am Sonntag stimmen die Italiener über seine Reform ab. Und damit auch über ihren Premier. Kann er bei seiner Tour durchs Land überzeugen?
Mit einem "Ciao tutti" stürmt Matteo Renzi in die Traglufthalle, "Hallo allesamt", und reißt sich die Krawatte vom Hals. Die passt hier nicht, das sieht er mit einem Blick. Hier, wo sich sonst Basketballer und ihr Publikum tummeln, sitzen jetzt mehrere Hundert, vielleicht 1000 Männer und Frauen, Gewerkschafter und Parteiaktivisten, Arbeiter, Studenten, Rentner. Alles keine Krawattenträger.

Zum Auftakt entschuldigt er sich erst einmal, dass er hier in Piombino zur Mittagszeit erscheint und allen den Tag vermasselt. Schon lachen auch die, die eigentlich von Renzi enttäuscht sind. Wollte der nicht alles anders machen? Jeden Monat eine Reform? Die alte Politkaste "verschrotten"?

Klar, will er immer noch. Gerade jetzt mit seiner Parlamentsreform, über die Italien am Sonntag per Referendum abstimmt. Er will "Italien verändern, vereinfachen". Aber so leicht ist das eben nicht - und der Widerstand groß. In der Bürokratie und der herrschenden Klasse in Italien, dazu bei denen in Brüssel und in Berlin. "Die EU soll sich endlich um die deutsche Finanzpolitik kümmern", denn die Überschüsse der Deutschen "schaffen überall in Europa Probleme". Beifall.

Und auch bei den Flüchtlingen hätten Brüssel und Berlin Italien allein gelassen. Aber das werde sich jetzt ändern, "oder Italien macht sich nicht länger krumm für Europa." Großer Beifall. Der war ihm gewiss, war professionell kalkuliert.

Renzi ist kein Populist. Aber dieses Handwerk beherrscht auch er. Der 41-Jährige hat ein sozialdemokratisches Parteibuch, ist eigentlich gelernter Christdemokrat und er weiß, was bei den Wählern ankommt. Er ist einer der wenigen, die auch rhetorisch den rechten Verführern beikommen können, die Europa derzeit umgarnen.

Der Schritt an die Macht war leicht, er musste nur seinen schlafmützigen Vorgänger Enrico Letta abräumen. Jetzt muss er die Macht verteidigen, seine Reform durchbringen. Oder er ist weg. Eine große Schar rechts und links von ihm wartet nur darauf. "Es geht nicht um mich, ich bin ganz entspannt", sagt er, "es geht um euch, um Italien."

Endlich Klarheit

Von außen dringt der Lärm von ein paar Dutzend Demonstranten in die kahle Arena. "Alles nur Versprechungen", rufen sie. "Renzi hat die Verantwortung dafür übernommen, dass es eine Zukunft für uns gibt", hat ein Arbeiter am Eingang einigen Reportern erklärt, aber seit eineinhalb Jahren sei "nichts passiert, gar nichts".

Er und seine etwa 2000 Kollegen im Eisenhüttenwerk von Piombino sind schon lange faktisch arbeitslos. Manche können noch ein paar Tage im Monat - eher pro forma - "arbeiten", bekommen dafür knapp tausend Euro. Die anderen müssen sich mit deutlich weniger Geld aus den Sozialkassen durchschlagen. Zusätzlich stehen rund 1000 Jobs in Zulieferbetrieben auf dem Spiel.

Beim Gang durch die rund 34.000 Einwohner zählende Hafenstadt in der Toskana ist die Krise nicht zu übersehen: "Zu verkaufen"- und "Zu vermieten"-Schilder hängen überall. Die ganze Stadt leide und die Bürger wollten "endlich Klarheit", sagt der Demonstrant draußen.

Macher, Dozent und Entertainer

Drinnen sagt Renzi, die Regierung habe alles getan, was möglich sei. Er weiß, hier in Piombino ist "das Werk" das wichtigste Thema. Deshalb ist er gut vorbereitet, kennt die Zahlen, die Akteure. Das Geld sei da, der Unternehmer müsse es nur abrufen und seine Zusagen erfüllen. "Aus dieser Pflicht werden wir ihn nicht entlassen!", ruft der Macher Renzi markig, da "gibt es kein Pardon".

Und, fügt der Dozent Renzi leise an, es sei ja schön, dass es endlich Anzeichen der Besserung auf dem Stahlmarkt gebe. Das aber reiche nicht. Man brauche eine langfristige Strategie für all jene Industriestandorte in der Krise, wie Taranto, Genua oder eben auch Piombino. "Italien hat 23 Häfen", die Stimm- und Tonlage kündet wieder den Entertainer Renzi an. "Erzähl mir doch mal einer von euch, warum die alle zusammen weniger umschlagen als der eine Hafen in Rotterdam. Meine Güte, wir haben die besten Standorte, das Mittelmeer ist die meist befahrene Schiffsroute. Da muss man doch was hinkriegen." Und dann ist er bei seinem Thema.

Italien müsse einen Schritt zulegen, dürfe sich nicht von den Bürokraten fesseln lassen, brauche nicht 950 Parlamentarier und ständigen Kompetenzstreit zwischen Rom und den Regionen und zwischen der ersten und der zweiten Kammer des Parlaments. Und genau das wolle er jetzt mit seiner Reform beenden. Darum gehe es beim Referendum am 4. Dezember. Deshalb müssten alle, die ein besseres, moderneres Italien wollten, bei dieser Abstimmung mit Ja stimmen. Denn die Mächtigen, die Absahner, die Ewiggestrigen im Lande seien alle dagegen.

Allein gegen alle

Und die nimmt er sich nun einzeln vor: Matteo Salvini etwa, den Chef der Lega Nord. Der fühle sich, seit Donald Trump die Wahl in den USA gewonnen hat, wie ein Mit-Sieger. Renzi weiter: Ja klar, der habe auch gewonnen, mit seiner Lega-Truppe. "Ich dachte bislang, das wären die Bürgermeisterwahlen in Cascina gewesen" - einer Kleinstadt in der Toskana. "Aber anscheinend hat er in Ohio gewonnen." Gelächter auf den Rängen.

Oder Massimo D`Alema. Ein Raunen geht durch die Ränge, es gibt vereinzelte Pfiffe gegen den Ex-Regierungschef und Parteikollegen von Renzi. Der sagt zwar: "keine Pfiffe, nichts gegen D`Alema". Doch hier wissen alle, wie die beiden sich hassen. Aber wie passe "der große Ideologe der Politik D`Alema", macht Renzi weiter, denn mit dem Anführer der Fünf-Sterne-Bewegung, Beppe Grillo, "dem großen Ideologen der Antipolitik" zusammen? Erneutes Gejohle auf den Rängen. "Und dann ist ja auch noch Silvio Berlusconi bei denen, Silvio, na ja... Der hat mir gesagt, ich sei gefährlich, weil ich die ganze Macht haben wolle..." Wieder darf gelacht werden. Längst sind alle Renzi-Fans. Jedenfalls ein bisschen mehr als noch vor einer halben Stunde.

Von Piombino wird ihn der Hubschrauber weiter tragen nach Livorno und dann nach Pisa. Tags drauf ist er in einem Fiat-Werk im Norden, um den 4300 Beschäftigten dort zu sagen, dass sie alle ihren Job noch haben, weil dort jemand rechtzeitig die Hebel "auf Zukunft" gelegt hat, so wie er das jetzt fürs ganze Land tun wolle. Fiat-Chef Sergio Marchionne bestätigt das gerne. Renzi ist der Mann der Moderne, der Zukunft - das ist seine Botschaft überall -, seine Gegner sind "die von gestern, die wollen, dass alles bleibt, wie es ist".

Applaus, Selfies, Händeschütteln

Roms Regierungschef tingelt durchs Land, um die Stimmung noch zu kippen. Die jüngsten Umfragen sahen die Neinstimmen vorn. "Was interessieren mich Umfragen", sagt er trotzig. Er weiß: Geht das Referendum schief, wird er wohl seinen Job verlieren.

"Ich klebe nicht am Stuhl", sagt er in Piombino zum Schluss. Wenn es gut geht, werde er 25 Stunden am Tag arbeiten, um Italien voranzubringen. Im anderen Fall kämen eben die wieder mit ihren Freunden, grapschen sich die goldenen Gehälter und Pensionen. "Wie das ausgeht, liegt jetzt an euch! Es sind noch ein paar Tage, gehen wir alle von Haus zu Haus, von Tür zu Tür und kämpfen gemeinsam, dass die Zukunft gewinnt!"

Applaus auf den Rängen, Gedränge, Selfies und Händeschütteln mit Matteo unten. Nach einer Stunde bringt ihn der Hubschrauber zur nächsten Bühne.

Die Show dort war genauso gut, heißt es.

Quelle : spiegel.de

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